Natur

 

Prolog

Im Beitrag „Leben durchdringt die Welt“ ist die Richtung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Neuzeit beschrieben. Die Wissenschaftler kamen von der Mechanik und arbeiteten sich bis zur Natur durch. Bis an das Leben reichten sie nicht heran. Auf dem Wege ließen die Erfahrungswissenschaften viele Erkenntnisse rechts und links liegen. Die Grenzen der Gültigkeit der Gesetze bleiben seitdem eng gesteckt. Der Blick ist von vorne herein auf die Mechanik, auf die quantifizierbaren Kausalitäten begrenzt. Er schneidet von der Welt bis zum Leben nur ein enges Spektrum von Beobachtungen als Untersuchungsgegenstand heraus. Der umgekehrte Weg von der Ganzheit, dem Holon, den Monaden, dem Leben zur Naturwissenschaft wurde nicht eingeschlagen. Er hätte möglicherweise die Überraschungen der Physiker über die Quantenmechanik, die dunkle Energie, die Verschränkungen der Welt und andere mystische Beobachtungen in ein gültiges Gesamtbild der Welt einordnen können.[1]

Naturgesetze sind beobachtete Kausalitäten - so jedenfalls sagt es die Theorie. In unserer Kultur sind die Ursachen und Wirkungen auf messbare Größen eingeschränkt. Wir gliedern sie im Wesentlichen auf die Physik, die Chemie und die Biologie. Wenden wir das Grundprinzip auf das Leben an, so kommen wir zu den Regeln des Lebens. Wir werden in diesem Beitrag erleben, wie aus einer Intuition ein Naturgesetz kondensiert ist, das keine messbare Ursache hat: die Gravitation. Das ist ein gutes Beispiel für die extreme Eingrenzung und Vereinfachung der Naturgesetze des Lebens. Der Zweck unterjocht die Natur. Die Macht grenzt das Leben auf kontrollierbare Größen ein.

Im weiteren Verlauf werden wir grob den Verlauf des Erkenntnisgewinns in der Wissenschaft skizzieren, vor allem gehen wir auf die Grundlagen ein. So lassen sich die Möglichkeiten einer ganzheitlichen, naturnahen Lebensweise besser erkennen. Wir erkennen sowohl die kulturell angelegten Einschränkungen von vorne herein, die Erkenntnisse gar nicht erst entstehen und reifen lassen. Wir sehen darüber hinaus die schamanischen Möglichkeiten, wenn wir den Menschen aus dem Zentrum der Betrachtung nehmen und dafür die Mutter Natur im Zentrum belassen.

Naturgesetze

Ein Naturgesetz hat in der westlichen, technischen Kultur[2] den meist unausgesprochenen Hintergrund, dass die Natur als gesetzmäßig angenommen wird und der Mensch sie versteht. Der Mensch wiederum wird als von der anderen Natur getrennt gesehen und von dieser Warte aus erkennt er die Gesetzmäßigkeiten und greift in die Natur ein.[3] Weil er diese höhere Erkenntnis hat, darf er auch eingreifen, der Natur die Geheimnisse entreißen und sie mit diesem höheren Kenntnisstand gestalten. Das erinnert an Francis Bacon, markiert er doch mit seinem philosophischen Ansatz der Induktion, des Lernens aus Beobachtungen, den Beginn der modernen Naturwissenschaft, die Naturgesetze formulieren kann. F. David Peat hat Bacon aus seinem Novum Organon zitiert als den Ersten, der eine wissenschaftliche Methode entwickelt hat, jedenfalls für die technische Naturwissenschaft. Mit dieser Methode soll die Natur in den Dienst des Menschen gestellt werden. Sie solle auf die Folterbank gespannt und peinlich befragt werden, bis sie die richtigen Antworten auf unsere
Fragen offenbart.[4]

 

Nur der Mensch fragt

Betrachtet der Mensch die Natur so und setzt seine Sinne dafür ein, dann ist er der Beobachter, das Subjekt. Er nimmt als Beobachter nicht an der Natur teil. Bacon hat den Menschen von der Natur getrennt und ihm die Macht zugesprochen, sie zu ergründen und auszubeuten. Die Natur soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Der Mensch, der die göttlichen Naturgesetze kennt, wird ebenso wenig wie Gott selbst von den Folgen des Handelns betroffen sein.[5]

Hinter der Fassade der Naturgesetze verbirgt sich die Bedeutung, dass ein solches Gesetz die Zusammenhänge zwischen den von Menschen beobachteten Erscheinungen der Natur festschreibt.

Ein Hund, der immer und ausnahmslos nach einem Geruch die Spur eines Menschen oder Tieres findet, handelt nicht nach einem Gesetz im naturwissenchaftlichen Sinne, obwohl er genau den Zusammenhang zwischen Ereignissen in der Natur erkennt und danach handelt. Er ist kein Mensch und die Zusammenhänge lassen sich nicht quantifizieren. Und doch sind es eindeutige Zusammenhänge in der Natur.

Mit Naturgesetzen sind physikalische Gesetze gemeint. Die technische Kultur hat die Welt als seelenlos definiert und die Körper, d.h. die Materie der Wissenschaft zur Erklärung übergeben. Von dort hat sie die Physik zurückbekommen, die nach den Regelmäßigkeiten sucht, die wir in der Welt mit unseren Sinnen wahrnehmen. Damit wird nicht die Natur beschrieben, sondern die Physik. Und um ihre „Grundgesetze auszudrücken, brauchen wir immer die Mathematik.“[6]

Naturgesetze außerhalb der Physik sind in der technischen Kultur unbekannt. Für sie nimmt die Wissenschaft auch nicht den Begriff des „Gesetzes“ in Anspruch. Das Gesetz bezeichnet „eine regelhafte oder notwendige Relation zwischen Dingen, Prozessen und Handlungen“[7]. Den Regeln der Natur spricht die neuzeitliche Wissenschaft keine Gesetzeskraft zu, jedenfalls nicht in dem objektivierten Maße, wie er in physikalischen Gesetzen gefordert ist.

Es lassen sich viele Beispiele von feststehenden Abläufen und Strukturen in der Natur finden, die aber mangels Quantifizierung und somit Präzision nicht in den Status eines physikalischen Gesetzes gelangen. Jedes Wesen auf der Erde muss sterben; der Mensch hat ein Bewusstsein; die Fortpflanzung schafft die Grundlage für neues Leben; jedes Leben braucht Wasser; die Liebe hält alles zusammen - solche und ähnliche Beobachtungen haben eine Gültigkeit in der Natur. Nennen wir es die ‚Regeln des Lebens‘. Im physikalischen Sinne sind es aber keine Gesetze.

Sie erfüllen nicht die Kriterien eines physikalischen Gesetzes, als da sind:

  • Physikalische Gesetze sind von der Person des Experimentators unabhängig.
  • Physikalische Gesetze gelten überall.
  • Physikalische Gesetze erbringen unter den gleichen Randbedingungen die gleichen vorhersagbaren Ergebnisse.

Es wurden viele Gesetze gefunden, die diese Kriterien erfüllen: das Gravitationsgesetz, das Gesetz von der Energieerhaltung, die Äquivalenz von Masse und Energie, die Hauptsätze der Thermodynamik, das Trägheitsgesetz. Alle diese Gesetze der Physik lassen sich mathematisch formulieren. Getreu dem oben genannten Charakteristikum: die physikalischen Gesetze werden mathematisch beschrieben.

Wie werden die physikalischen Gesetze gefunden? Die Menschen beobachten Regelmäßigkeiten in der Natur und stellen Fragen.[8] Die Physiker stellen nicht irgendwelche Fragen, sondern sie haben eine Vermutung. Mit dieser Vermutung oder Hypothese analysieren sie die beobachteten und meist auch gemessenen Erscheinungen oder Daten. Sie erwarten, dass einer Ursache eine Wirkung folgt, so dass die Regelmäßigkeiten sich wiederholen. (Zweiwertige Logik) Sie sollen sich aber nicht nur wiederholen, sondern auch für andere Personen ersichtlich und verständlich sein. Das können sie nur sein, wenn die Person des Beobachters in der Formulierung der Vermutung nicht vorkommt. Man will ja mit einem Gesetz keine persönliche Erfahrung beschreiben, sondern das Wissen teilen, welches mit dem allgemeinen Grundsatz gefunden wurde. Dafür müssen einige Regeln aufgestellt werden und der Beobachter darf selbst nicht in der Versuchsanordnung vorkommen.

 

Naturwissenschaft ohne den Menschen

Die Antworten zu den Fragen und Hypothesen kommen aus der Natur. Mit der Methode bringt der Mensch eine Ursache und eine Wirkung zusammen (Kausalität). Das Verfahren ist als ‚Induktion‘ in der Wissenschaft bekannt.[9] Es trägt einige sehr einschränkende Voraussetzungen mit sich, die seine damit gewonnenen Erkenntnisse nur in einem begrenzten Rahmen anwendbar machen. Bei genauerer Betrachtung dieser Einschränkungen treten erhebliche Zweifel zutage, ob dieses wissenschaftlich erworbene Weltbild überhaupt auf das natürliche Leben anwendbar ist. Vor allen Analysen braucht man zur Aufdeckung eines Naturgesetzes in unserer Kultur mindestens zwei Annahmen:[10]

  1. Die Verständlichkeitsannahme, nach der die Natur für uns Menschen zu verstehen ist. Das hat schon Einstein gewundert, der es als faszinierend empfand, dass die Welt überhaupt verstehbar ist.[11]
  2. Der Beobachter ist aus der Natur herausdefiniert, damit die Aussagen objektivierbar sind.[12] Wäre das erkennende Subjekt ein Teil des beobachteten Geschehens, so ließe sich ein Weltbild nur einmal und nur für den teilnehmenden Menschen aufstellen. Es entstünden dann Aussagen wie: Für mich fühlt sich das Wasser warm an.

Im Hintergrund gibt es weitere Annahmen, die aber allgemeinen Charakter haben und nicht speziell auf die physikalischen Gesetze zugeschnitten sind:

  1. Zwischen den Menschen ist eine Kommunikation möglich und ein Übertrag von Informationen auf einer zweifelsfreien Ebene.
  2. Ontologische Fragen bleiben aus der Betrachtung, sie lassen sich nicht mit physikalischen Analysen beantworten (Wikipedia ‚Ontologie‘).

Wir leben in einer technisch wissenschaftlichen Welt, in der die tote Materie untersucht, zerlegt und wieder zusammengesetzt wird. In dieser Welt werden aber auch die Lebewesen gedanklich zerlegt und in ihren Bestandteilen analysiert, als seien sie Maschinen. Das führt uns an die Grenzen der Erklärungsmöglichkeiten, denn die Natur lebt in Synergie und dabei ist das Zusammenwirken entscheidend wichtiger als die Trennung.

Die Natur ist keine Maschine mit einer bestimmten, vorab definierten Funktion.[13] Sie ist nicht aus Einzelteilen zusammengesetzt. Oder noch deutlicher: Die Natur lässt sich nicht aus Einzelteilen zusammensetzen. Generationen von Wissenschaftlern haben die Fruchtfliege untersucht, haben Vererbungslehren an Bohnen studiert, haben die Zellteilungen von Bakterien unter dem Mikroskop beobachtet. Aber kein Wissenschaftler hat je eine Fruchtfliege, eine Bohne oder ein Bakterium zusammengesetzt. Weil es niemand kann.

 

Synergie ist die Basis des Lebens

Ganz offensichtlich fehlen in unserem wissenschaftlichen Bild der Welt wichtige Bausteine, die das Leben in der Welt erklären oder nachvollziehbar machen. Es fehlt eine Kraft, eine Energie, ein Gefühl oder irgendetwas Unerkennbares im wissenschaftlichen Sinne, das die gefundenen Teile zusammenführen und zusammenhalten kann.

Wir würden dieses Unerklärliche erkennen, wenn es mit uns oder unseren Messinstrumenten im weitesten Sinne in Wechselwirkung tritt.

 

Schamanische Kritik

Die fehlenden Bausteine in der Innenwelt der Lebewesen inklusive der Menschen bezeichnen wir mit Seele, Geist oder dem inneren Selbst. Nichts davon wird in der Naturwissenschaft akzeptiert und in seinem Einfluss gewürdigt.

Für unser Verständnis der Außenwelt unserer technischen Kultur werden die fehlenden Bausteine der Erklärung des Lebens aber gar nicht vermisst. Wir haben unsere Wissenschaft um dieses fehlende Verbindungsglied herum entwickelt. Die Wissenschaftler sind Kinder unserer Kultur und Gesellschaft und sie suchen auf der Basis ihrer Prägungen nach den Erklärungen für die Welt. Die Kultur setzt die Rahmenbedingungen. Naturwissenschaftler können nicht versuchen, die Seele oder den Geist in das wissenschaftliche Bild der Welt einzubauen, ohne die Grundlagen unserer Kultur zu verlassen.

 

Wissenschaft gründet sich in der Kultur

Es ist sehr wohl bekannt, dass es Erscheinungen gibt, die mit unseren Instrumenten nicht wechselwirken. 95% des Universums soll die sogenannte „dunkle Energie“ sein, die nicht wechselwirkt, also keine Markierung auf unseren Messinstrumenten hinterlässt. Und mit Energie bezeichnen wir sie deshalb, weil wir vermuten, dass sie ein physikalisch relevantes Phänomen ist. Ähnlich verhält es sich mit der „dunklen Materie“, die ebenfalls irgendwo ist, aber nicht nachweisbar ist. Sie soll auch physikalische Bedeutung haben. Diese Massen und Energien sind nicht weit entfernt irgendwo in den Tiefen des Universums, sondern sie sind elementare Bestandteile unserer Welt und unseres Lebens. Wir sind Bestandteil des Universums und die dunklen Kräfte sind in unserer Welt, in unserem Leben, in uns. Wir kennen in der selbst gebastelten physikalischen Welt nur einen Bruchteil der Erscheinungen und einen kleinen Ausschnitt der vermuteten Gesetze. Die Physik zeigt uns weder das Universum, noch das Leben.

 Wissenschaft gründet sich in der Kultur - Dunkle Energie

Hinter den Grenzen der Physik wirken die Gefühle als ein konstitutiver Bestandteil des Lebens. Wir können uns ausmalen, dass es Wesen gibt, die keinen ordnenden Verstand wie wir haben, aber sehr wohl Gefühle. Diese Gefühle geben den Lebewesen die Signale zu den Möglichkeiten in denen sie sich bewegen und die sie für sich und für ihr Leben nutzen können. Diese Gefühle liegen auch an der Basis unseres Lebens als Menschen. Wir können uns aber nicht ausmalen, dass es Wesen gibt ohne Gefühle und nur mit Verstand. Das Gefühl ist die Basis von Allem, der Verstand kann es allenfalls unterdrücken und seine Wirkung ignorieren oder leugnen. Trotzdem wirken die Gefühle auf uns und auf andere Menschen und Lebewesen. Ob die Gefühle nun ein Teil der „dunklen Energie“ sind, darüber haben wir keine Informationen und noch nicht einmal Vermutungen.

Für die Ausführungen an dieser Stelle ist das irrelevant. Wir wollen nur erklären und demütig anerkennen, dass unsere technische Kultur mit der verstandesgetriebenen Physik lediglich einen winzigen, fast unscheinbaren Teil des Universums in ihren Erklärungen und Theorien erfasst. „Jede Ordnung, die das Denken erfassen kann, muß begrenzt sein, weil es immer etwas geben wird, das nicht-unitär, frei und schöpferisch ist und das jenseits jeder Ordnung liegt. Die Physik befasst sich deshalb nur mit einer winzigen Insel der Regelmäßigkeit in einem sehr viel größerem Meer von unendlicher Komplexität und Schöpfungskraft.“[14]

Blicken wir aus dieser technischen Welt in unsere eigene Vergangenheit zurück, dann können wir kaum nachempfinden, wie eine vormals ganzheitliche Kultur auf das Leben geblickt hat und warum sie diese ganzheitliche Betrachtung aufgegeben hat. In einer solchen Welt gibt es keine Trennung von der Natur, sei sie belebt oder unbelebt. Das Leben ist im Innersten ohne Raum und Zeit verbunden und deshalb braucht es nicht die Kommunikation über Medien und Signale oder Sender und Empfänger, um sich zu verständigen. Wenn ich mit dem Baum „spreche“ oder mit einem Tier, mit einer Blume oder mit der Seele eines anderen Menschen, dann ist das nicht verbal oder mit Gesten.

 

Unser Leben wandert in der emotionalen Landschaft

Wir sind alle über die Gefühle miteinander verbunden, wenn wir überhaupt eine Verbindung anerkennen. Die gemeinsame Ebene in der Natur können nur die Gefühle sein, denn kein anderes Wesen außer uns hat ein vergleichbares Gehirnorgan, mit dem Kommunikation organisiert werden kann. Gefühl ist hier als Begriff in einer sehr weiten Bedeutung gebraucht. Das Gefühl ist ein diffuses Aufkeimen eines Gedankens, noch weit bevor er in Worte gefasst werden kann. Gefühle werden geteilt[15] und vermehrt, sie sind unendlich in diesem Sinne, wie ein Teil des infiniten Spiels der Natur. Wenn ich an der Natur teilhabe, an ihrem infiniten Spiel, dann fühle ich das und das reicht für die eigene Befindlichkeit aus. Fasse ich die innere Stimme in Worte, reiße ich sie in die Endlichkeit unseres Seins, in die Berechenbarkeit unserer Naturgesetze.

Die Kommunikation mit dem Baum, den Tieren und Pflanzen, mit der Natur, verlässt die naturwissenschaftliche Welt. Keine Naturgesetze erklären den Transfer der Gefühle, die Ruhe und Geborgenheit in der Naturverbindung, das Vertrauen in die Sorgsamkeit der Mutter Erde. Die Verbindung zum Baum und das Verstehen seiner „Sprache“ ist eine Folge der Aufmerksamkeit im Leben. Unsere Verbundenheit über die Gefühle führt uns zu dieser Ebene und lässt uns mit offenem Herzen zuhören. Was ich fühle am Baum, beim Tier, im Wald, in dem Kontakt zu anderen Wesen, was ich dabei fühle, ist das geteilte Gefühl. Das ist keine Frage der besonderen Fähigkeiten oder Begabungen, sondern ein Ergebnis der Aufmerksamkeit und der Akzeptanz. Die Aufmerksamkeit brauche ich nicht zu erklären, die erwirbt man sich mit einem gewissen Training. Die Akzeptanz besteht im Wesentlichen darin, die gefundenen Gefühle nicht wieder wegzudenken und unter Erklärungen zu begraben.

Die „Schamanische Kritik“ an dem Gesetzesbegriff ist in ihrem Kern unnötig, wenn den Menschen in der Kultur die ‚Setzung‘ bewusst ist. Die Setzung aus dem Gesetzesbegriff ist tatsächlich eine willkürliche Festlegung von Annahmen, für die in der Welt Belege gesucht werden. Die Akzeptanz solche Setzungen wird mit Macht erzwungen. Das ist direkt geschehen zu Beginn der Neuzeit, als die Machthaber eine Weltanschauung durchgesetzt haben. Und das geschieht indirekt mit der Erziehung und Konditionierung der Menschen
in der Kultur.

In einer naturnahen Betrachtung, wie der schamanischen, gibt es diese Setzungen nicht, weil die Natur sie nicht anbietet. Natur ist Chaos ohne Ziel. Es ist nicht wahr, dass die Natur oder die Ergebnisse einer schamanischen Arbeit berechenbar und wiederholbar wären wie die Laborversuche der Physiker oder Chemiker. Statt der Gesetzmäßigkeiten und eindeutigen Wiederholungen finden wir lediglich Ähnlichkeiten, die uns das Erkennen ermöglichen und eine gewisse Erwartung begünstigen. Mit der Verbundenheit zur Natur und dem Respekt vor dem Lebensprinzip in ihr, erkennen wir einen Gleichklang, der den Gefühlen eine Stimme verleiht.

Alles ist verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an. Häuptling Seattle, „Wir sind ein Teil der Erde“, Zürich, Düsseldorf, 1999, S. 28

Vitazentrierter Blick auf die Naturwissenschaft

Aus einer so engen Verbindung des Einzelnen mit der ganzen Natur kann keine Wissenschaft entstehen, in der die Natur beobachtet wird, ohne einen Einfluss des Beobachters zu berücksichtigen. In einem ersten Schritt hat sich der Mensch von der Natur getrennt und war fortan ihr Beobachter, zumindest wenn es um die wissenschaftliche Erkenntnis ging. Die Rolle außerhalb der Natur ist aber nicht die eines demütigen Beobachters, sondern eines Machthabers, der mit seiner Allmachtphantasie antritt, der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen.[16] Das Beobachtungsfeld wurde immer weiter eingegrenzt, bis die beobachtbaren und zu erklärenden Phänomene dem menschlichen Verstand zugänglich waren.

Gefühle mussten aus der Betrachtung bleiben, weil sie nicht quantifizierbar sind und nicht reproduzierbar. In das Reich der unberücksichtigten Phänomene fallen auch Epiphanien, Hellsichtigkeit, Telepathie und schamanische Arbeiten. Die Wechselwirkungen des Geistes auf den Körper bleiben bei den sogenannten ‚exakten’ Wissenschaften vor der Tür. Jede direkte Verbindung zu der Natur, ihren Botschaften, den Heilkräften und den Wirkungen auf die menschliche Seele, den Geist und das Bewusstsein konnte nicht zum Gegenstand der Wissenschaft gemacht werden. Die Physik und Chemie grenzt sie aus ihren Versuchen explizit aus. Diese Einflüsse sollten möglichst zur Gänze aus den wissenschaftlichen Versuchen und Theorien eliminiert sein.

Eine materielle Betrachtung der Welt kann nur die quantifizierbaren Phänomene in einer wissenschaftlichen Sichtweise und Analyse berücksichtigen.[17] Der Geist, die Seele, das Ego oder jede andere Qualität der Wesen hat keine Bedeutung für die naturwissenschaftliche Welt mit ihren Ursachen und Wirkungen.[18] Eine gemessene Zeit oder die KW der Energie, die Celsius-Grade oder die Kilogramm des Gewichts machen die Welt aus, die uns die Physik präsentiert und berechnet. In diesem Rahmen bleibt aber von den Grundlagen des Lebens nicht viel übrig. Man kann es wiegen und vermessen, untersuchen und kompostieren, es bleibt immer die Materie des Körpers.

Bei näherer Betrachtung fallen sehr viele Beobachtungen durch das Netz der Wissenschaft. Jede Art psychologischer Einwirkungen, jede Vorahnung oder jede Eingebung kann nicht in den Versuchsanordnungen zugelassen werden. Die Physik braucht Rahmenbedingungen, die konstant und rekonstruierbar sind. Innerhalb dieser Randbedingungen sollen die gleichen Aktionen zu den vorher bestimmten und erwarteten Ergebnissen führen. Die Zündung eines Atomreaktors ist bis in das kleinste Detail geplant – die Angst vor einer atomaren Verseuchung der Erde jedoch nicht.

 

Gefühle werden in Atomreaktoren verfeuert

Nach allen diese Reflexionen über die Entwicklung des physikalischen Weltbildes, über seine Unzulänglichkeiten und über die Entfernung zum natürlichen Leben, bleiben viele Fragen noch offen. Warum setzt der Mensch Energietechnik ein, die der Erde schadet und sich damit gegen ihn selbst wenden? Warum hungern Milliarden von Menschen, obwohl genug Essen für alle da ist? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass Millionen von Menschen von chemischen Pillen abhängig sind? Wie kam es zu der Entwicklung von Atombomben auf der Basis von Kernreaktionen, obwohl Einstein zur gleichen Zeit mit dem photovoltaischen Effekt die Grundlage für die Solarenergie geschaffen hat? Stattdessen wurde Kohle aus dem Bauch der Erde geholt, die in Kraftwerken mit einem Wirkungsgrad von weniger als einem Prozent zur Stromerzeugung verfeuert wurde.

Wir suchen im folgenden Abschnitt nach Erklärungen, warum sich dieses Bild der Welt überhaupt durchgesetzt hat und warum es nicht revidiert wurde, als seine Unbrauchbarkeit offensichtlich wurde?

Es ist die Macht in der Gesellschaft, die aus den präsentierten Ergebnissen der Naturwissenschaft diejenigen Ergebnisse entnimmt, die die Möglichkeiten der Machtanwendung vergrößern und diese Struktur festigen. Große Kraftwerke und Industrieanlagen schaden der Natur, aber stärken die Inhaber. Mit Verstädterung lassen sich die Massen besser kontrollieren und es werden Verkehrstechniken entwickelt, die sowohl dem Land schaden, als auch der Stadt und den Menschen.[19] Die Forschung zur Manipulation der Natur mit Chemie und großflächigen Anbaumethoden in der Landwirtschaft ist das Ergebnis von Machtphantasien. Kriege und Kriegsforschungen dienen allein dazu, Macht zu vergrößern, Grenzen zu erweitern oder zu verteidigen. Die Forschungsmittel in dem Bereich sind alle gegen die Natur eingesetzt. So lassen sich die Belege zusammentragen, wie aus allen Möglichkeiten des Naturverständnisses diejenigen weiterentwickelt werden, die der Macht nutzen.

Die Machtphantasien zeigten sich schon im frühesten Stadium bei der Findung und Auswahl der Naturgesetze. Die Eingrenzung der Rahmenbedingungen, in denen die Naturgesetze gültig sind und innerhalb derer erwartete Entwicklungen und Handlungsanweisungen zugelassen und verifiziert werden sollen, sind sehr eng gezogen. Die darin formulierten Gesetze gelten für einen Teil unserer Welt, und zwar für den technischen Teil der Maschinenwelt, die auf der Physik beruht. Für das Leben bilden diese Gesetze einen zu kleinen Teil der wahrnehmbaren Wirklichkeit ab, als dass man sie zur Grundlage lebenswichtiger Entscheidungen machen könnte.

 

Naturgesetze werden nicht gefunden, sondern erfunden

Wir wollen nicht fragen, welcher Wissenschaftler die Idee einer maschinellen Natur zuerst als Basis seines Weltbildes eingeführt hat, war es Descartes mit seiner Trennung von Leib und Geist, war es Newton mit seiner Reduktion aller Gegenstände auf eine Masse und eine Bewegungsrichtung, oder war es Laplace mit seiner Phantasie einer vollständig definierten mechanischen Welt? Das ist für die Konsequenzen, die wir hier betrachten wollen, tatsächlich weniger von Bedeutung. Interessanter sind die ausgeschlossenen Aspekte für die schamanische Sicht auf das Leben.

Ganzheitlicher Blick auf die Natur

In einer ganzheitlichen Betrachtung des Lebens ist die Physik mit ihren Naturgesetzen ein Teilbereich, der nicht lebende Materie erklärt. Die Systemtheorie der modernen Zeit betrachtet die Welt in einem ganzheitlichen Beziehungsgefüge.[20] Sie erlaubt Rückkopplungen im System und zwischen den Systemen. Sie hebt die Trennung von Subjekt und Objekt wieder auf, indem sie zulässt, dass die Teile des Systems zueinander in Interaktion treten, unabhängig von ihrer Rolle. Soziale Systeme werden in Modellen abgebildet, die miteinander wechselwirken und sich beeinflussen. Solche Modelle können einem Ergebnis zustreben, wenn man ihnen logische und nachvollziehbare Bewertungen und Ziele unterlegt. Das ist kein zwingend erwartbares Verhalten, denn je nach Rückkopplungswirkung können sie auch divergieren oder oszillieren.

 

Ganzheitliche Systeme haben die Bestimmtheit der Naturgesetze verlassen

Die Kausalität und die Wiederholbarkeit der Ergebnisse bei festgelegten Randbedingungen sind nicht mehr zu erwarten. Immerhin versuchen die Systemtheoretiker die Entwicklungen an der Wirklichkeit zu verifizieren. Dieser Vergleich schließt in dem meisten Fällen eine Quantifizierung der Beobachtungen und der Ergebnisse des Modells ein.

Es bleibt also dabei, dass quantifizierte Tatsachen und physikalisch erklärbare Beobachtungen in eine ganzheitliche Perspektive eingeordnet werden. Immerhin hat man damit die atomistische Zerstückelung der Wissensgebiete in einen Zusammenhang gebracht. Von einer tatsächlichen Akzeptanz der fundamentalen Gefühlsebene und ihrer Wirkung auf die Materie und den Verstand ist die Wissenschaft nach wie vor entfernt.[21]

Fehlen also nur die Qualia, oder wie wir sie in unserer schamanischen Terminologie nennen: die Galiora, in den Berechnungen? Ist es möglich, die Qualitäten den materialistischen, physikalischen Gesetzen hinzuzufügen und schon ist das Leben erklärt? Lassen sich die unberücksichtigten Einflussgrößen bei den Ergebnissen und Schlussfolgerungen für das Leben in der westlichen Kultur nachrüsten? Das farbenfrohe Leben mit Gerüchen, Geschmäckern, Gefühlen und allen seinen Facetten, die sich in unsere Gefühlswelt einnisten, beeinflusst uns, unser Denken und Fühlen. Es fällt uns schon schwer, das Geschehen und die Empfindungen in Worte zu fassen, weil Worte eine deutliche Einschränkung der Gefühle sind. Sie werden durch das geschriebene Wort noch weiter reduziert, von den mathematisch formulierten Beschreibungen ganz zu schweigen. Wenn wir daraus ‚Naturgesetze‘ ableiten, dann wird die Entfernung zu dem wirklichen Leben nochmals deutlicher.

Das Leben ist autopoietisch, es entwickelt sich aus dem vergangenen Leben. Schon bei dieser einfach erscheinenden Erkenntnis kann die Mathematik kein Modell liefern. Maturana und Varela haben das in ihren Beiträgen wunderbar aufbereitet. Ich brauche das hier nicht zu wiederholen.[22]

Wir haben zu Beginn bestimmt, dass Naturgesetze vorhersagbare Ergebnisse liefern, das ist sozusagen ihre Definition. Bei Maturana ist die Überprüfung der Voraussage mit der Fähigkeit gekoppelt, die Ergebnisse zu beobachten. Turbulenzen, chaotische Entwicklungen oder Zufälle übersteigen die Abstraktionsmöglichkeiten des Beobachters.. Wenn es darin Gesetzmäßigkeiten gibt, können wir sie nicht erkennen. Wenn die Entwicklungen vom Beobachter beeinflusst werden, ist die keine Voraussage möglich.

 

Der Beobachter ist überfordert

Betrachten wir eines der bekanntesten Naturgesetze: Die Gravitation. Der Legende nach wurde es durch einen Apfel initiiert, der Newton auf den Kopf fiel und ihm die Analogie zwischen einem beliebigen, hier natürlichen Gegenstand und dem Mond offenbarte.[23] Der Apfel wird nicht in seinem Aussehen, seiner Farbe, Größe oder Form erkannt. Nicht sein Geschmack interessiert Newton, die Süße des Fruchtfleisches, der Saft der sich daraus gewinnen lässt. Der Baum, von dem der Apfel fiel ist gänzlich unbedeutend, die Reifephase mit Regen und Sonne, die den Apfel wachsen ließ. Seine Vergangenheit als Blüte und seine Zukunft als Samen spielen keine Rolle in der folgenden Theorie. Das gesamte Leben des Apfels wird reduziert auf Ort, Impuls und äußere Kraftanwendung.[24]

In diesem und nur in diesem Sinne kann Newton ein Gesetz aufstellen, das die Bewegung des Apfels mit der des Mondes in eine Beziehung bringt. Mit dem Gesetz wurde formuliert, dass der Impuls eines Körpers unverändert ist, wenn er sich im Raum bewegt. Wie wir an dem kleinen Beispiel schon sehen, gilt das Gesetz nur unter extrem eingegrenzten Randbedingungen, von denen die einfachste noch ist, dass keine äußere Kraft in diese künstliche Anordnung einwirkt. Die Eigenschaften des Apfels werden auf die Ramsdera reduziert, ebenso wie die des Mondes, eines Steines, eines Elefanten oder eines Flugzeuges, das auf die Erde fällt.

Der Fall des Apfels auf Newtons Kopf hat zur kreativen Idee geführt. Dieses Ereignis gibt es nur einmal, die Gravitation kann nicht nochmals erfunden werden, egal wie viele Äpfel auf Köpfe fallen.

In einer ganzheitlichen Betrachtung würden weitere Einflussgrößen eine Rolle spielen. Das gesellschaftliche Umfeld wäre entscheidend, in dem Newton aus der pestverseuchten Stadt auf das Land geflüchtet ist. Sein alchimistischer Forschungsdrang wäre von Bedeutung, in dem er Gold auf künstlichem Wege erzeugen wollte. Die Gedankenexperimente des René Descartes wären wichtig, der mit der Erfindung der dritten Dimension die mathematische Beschreibung der Geschwindigkeit erst ermöglicht hat.

Mit allen ganzheitlichen Beschreibungen lässt sich kein Modell formulieren, das am Ende die Erfindung der Gravitation als Ergebnis ausspuckt.

Alles erscheint zufällig, beliebig, schicksalhaft und undurchdringbar in der Beobachtung. Für den handelnden Menschen folgt daraus die Begrenzung auf die Gegenwart und die achtsame Wahl des nächsten Schrittes.

In der Autopoiesie des Lebens ist keine Voraussage eines Ergebnisses vorgesehen. Die autopoietischen Systeme sind in sich schon so komplex, dass Abstraktionen und Reduktionen auf verstehbare Ereignisse für den Menschen eingeschränkt sind. Eine Vernetzung autopoietischer Systeme verwischt für den Menschen die letzten Spuren zur Kausalität. In der Beobachtung kommt noch die Unmöglichkeit hinzu, Ereignisse überhaupt in ihrem Bezug zu Entwicklungen zu identifizieren.

In einem weiteren Versuch einer formalisierten Benennung der Regelmäßigkeiten im Leben breitet Ken Dychtwalt die Holographie vor uns aus.

„Das holographische Paradigma weist auf eine nichtlineare Dynamik des Lebens hin. ... Unsere Schwierigkeiten der Erklärung werden noch vervielfältigt, weil diesem System eine tiefe Wertschätzung der nicht rationalen Modalitäten von Erfahrung und Ausdruck inhärent ist.“[25] Er bedauert, dass er nur Worte gebrauchen kann, wo die Erklärung doch „Gerüche, Temperaturen, Farben, Klänge, Schwingungen, Chemikalien, Berührungen und ausdrucksvolle Gesten...“ braucht. Es lässt sich mit dem Intellekt, allen Sinnen, der Intuition und den gesammelten Erfahrungen einer ganzen Lebensspanne begreifen.

 

Die Wahrheit finden wir nicht mit linearen Methoden

Die Dynamik kommt in das Gleichnis vom Apfel auf Newtons Kopf mit der Warum-Frage:
Warum hat sich der Apfel sich zu diesem Zeitpunkt vom Baum gelöst? Sie lässt sich in der Physik nicht beantworten, obwohl sie doch zu dem einmaligen, weltenbewegenden neuen Naturgesetz der Gravitation geführt hat.

Mit der Bearbeitung der Antwort schreibt die Dynamik eines holographischen Systems die Wahrheit und Schönheit in das Weltbild. Die schnöde Funktionalität des Apfels als Träger von Masse und Impuls würde überwunden und Newtons Geschichte nähme eine Wende zum Guten.

Der Fall des Apfels ist von der Befruchtung der Blüte abhängig und von dem Wetter während der Blüte und danach. Der Zeitpunkt ist von der Sonne abhängig. Und wenn wir die Abhängigkeiten weiterspinnen, kommen wir zum Aussehen des Apfels, seinem Geruch, der Fruchtbarkeit der Erde, in der der Baum steht, den Stürmen und Trockenzeiten, die sein Leben geprägt haben und den Ameisen, die an seinem Stamm entlanglaufen. In den Zusammenhängen offenbart sich das Leben in seiner Schönheit und die Erde mit ihrer Liebe. Zum Leben gehören die Galiora, sie ermöglichen kreative Wendungen im scheinbar berechenbaren Prozess der physikalischen Welt. Im wahren Leben ist erklärlich, warum der Apfel auf Newtons Kopf gefallen ist und nicht etwa einen Tag später ins Gras.

 

Das Leben regelt die Rahmenbedingungen

Bringen wir das Leben mit der künstlichen Welt der Physik zusammen, dann wird die Berechenbarkeit und Prognose sofort aufgehoben. Nimmt ein Mensch den Apfel in die Hand und wirft ihn in Richtung Newtons Kopf, ist das Ergebnis ungewiss. Kein Physiker oder sonstiger Wissenschaftler kann eine exakte Voraussage treffen, wohin der Apfel fliegen wird und ob er eventuell sogar Newtons Kopf trifft. Mit einiger Sicherheit kann man davon ausgehen, dass bei einem Treffer die Theorie der Gravitation nicht entstanden wäre.

Das zentrale Naturgesetz der Physik mit einer ungeheuren Tragweite für die westliche Zivilisation soll mit dem Fall eines Apfels in die Welt gekommen sein? Die Historiker können dafür keinen Beleg finden. „In seinen Aufzeichnungen allerdings ist nirgends von einem Apfel die Rede. Darin erinnert er sich lediglich: ‚Ich begann über die Schwere nachzudenken, die sich zum Einflussgebiet des Mondes ausdehnte.“[26]

Das Bemerkenswerte an diesem Satz ist die Verwendung des Verbs ‚nachzudenken‘, denn das ist wahrlich notwendig geworden. Der Beginn der Neuzeit war vom Schwachsinn geprägt, der bei den Herrschern begann und sich durch alle Bevölkerungsschichten zog.

Angst war allgegenwärtig und die Erklärungen der beobachteten Phänomene waren von Aberglauben, Fanatismus, Herrschsucht und Menschenverachtung durchzogen. Die Bevölkerung nahm seit der ersten Pestwelle im Mittelalter um 40% ab, das wäre bezogen auf die heutige Bevölkerung in Europa ein Verlust von 300 Mio. Menschen.

Das Leben für Menschen brauchte einen Neuanfang, denn es war in einer Sackgasse ohne Ausweg gefangen. Die Menschen hungerten und starben an der Pest. Die Herrscher brachten ihre eigenen Familienmitglieder um. Der 30-jährige Krieg wütete in Europa. Zur Finanzierung der Kriege wurde die Bevölkerung gnadenlos ausgepresst und dahingemordet. Die Engländer zogen aus, um andere Kontinente auszuplündern. Die Sklavenhaltung und Kinderarbeit wurden zum Motor einer Ökonomie, die neben den Menschen auch die Natur ausplünderte. Das Leben war nicht lebenswert.

Für die katastrophalen Entwicklungen und das Grauen in den Regionen, für Krankheiten und hohe Sterblichkeit, für das ganze Unrecht und die Armut wurden Schuldige gesucht und gefunden: die Hexen. Zu Recht wird diese Epoche das ‚dunkle Zeitalter‘ genannt.

 

Zu Beginn der Neuzeit regierte Gewalt, Hass und Dummheit

Alchemisten hatten ihre Blütezeit. Sie versuchten unedle Stoffe in Edle, wie Gold und Silber zu verwandeln. Dabei entdeckten sie das Porzellan, das Schießpulver und weitere Metalle. Sie forschten für die jeweiligen Machthaber und strebten nach Anerkennung und künstlichem Reichtum. Isaac Newton war ebenfalls so ein Alchemist. Er hat einen Koffer mit Notizen zur Alchemie mit 25 Millionen Worten hinterlassen. Seine Erfindungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und der Mathematik machten dagegen nur einen Bruchteil dessen aus.

Und doch wurde aus seinem gesamten Werk das verstandesgetriebene Bruchstück zu einem Motor des modernen Denkens. Wie erreichte der Segen des Denkens eine Kultur am Abgrund?

Mit der Gravitation kam eine Kraft in die Erklärung der Natur, die vor Newton verpönt und verachtet war. Die Mechanik kannte nur direkte Einwirkungen, wie den Stoß zwischen zwei materiellen Dingen oder die Übertragung durch Berührung. Newtons Erklärungen einer unsichtbaren Kraft, die über große Entfernungen wirkt, wurde als Okkultismus abgetan. Für Newton war das keine Herabsetzung und mit dem spirituellen Hintergrund seiner Alchemie waren Fernwirkungen plausibel. Die Liebe hat eine Fernwirkung und sie wird durch kein Medium übertragen, sondern geteilt. Gefühle werden nicht übertragen, sondern geteilt in dem Sinne, das anschließend alle Geliebten und Liebenden mehr haben. Newton wollte das Leben untersuchen und erklären, nicht etwa die Natur als unbelebte Maschine. Die Basis seiner Naturgesetze war zutiefst spirituell.

An der Basis war Newton Magier, Alchemist und Theologe. Sein berühmtes Werk der Principia hat er erst nach einer ausgiebigen Studie der Apokalypse verfasst. Und seine wissenschaftliche Methode sollte zuerst eine Interpretation der Propheten ermöglichen.

„Der wahre Newton ist der Alchimist und Theologe, weil aus diesen Studien nicht nur die Ziele der Philosophae naturalis principia mathematica geboren wurden, sondern auch die Methode dieser Bibel der modernen Physik.“[27]

 

Das Okkulte ging dem Rationalen voraus

Schamanische Regeln des Lebens

 

Isaac Newton trug ein ganzheitliches Bild in sich, in dem vielerlei Gerüche, Dämpfe, Gefühle und andere Qualitäten sich mit der Materie zu dem Leben vereinen. Alles war bei ihm von einem Äther durchflossen, der feiner als Luft jegliche Materie durchdringt. Die unsichtbaren Kräfte des Lebens hätten für die Koinzidenz gesorgt, dass ihm in einem entscheidenden Moment der Apfel der Erkenntnis auf den Kopf fiel und den Gedanken über die Kräfte der Gravitation auslöste. In einer modernen Terminologie bezeichnen wir das als ein holographisches Weltbild. Darin ist die Position der Physik als ein mathematisch formulierbares Subsystem des Lebens bestimmt.

Mit einer spirituellen oder schamanischen Deutung der Newton‘schen Erkenntnisse rückt der Mensch aus dem Zentrum in die Randbereiche der Natur. Die Mutter Erde zieht alles Leben an und hält es an der Oberfläche. Die Lebewesen spüren diese Anziehungskraft als die Liebe. Die Liebe schafft ein Umfeld des Glücks, in dem die Seele zufrieden sein kann. Im ausgehenden Mittelalter war sie das offenbar nicht. In einer desolaten Welt mit Hunger, Hass, Kriegen und verheerenden Seuchen ist das Leben nicht mehr lebenswert. Die Seele ist unglücklich. Die bisherigen Erklärungen der Welt haben versagt und die Menschheit an den Rand eines Abgrundes getrieben. Nicht nur die einzelne Seele ist geschunden, sondern die Seele der Mutter Erde. Sie braucht eine Lösung, dem Gefängnis aus Hass und Elend zu entfliehen. Newton suchte wie die anderen Alchemisten nach unsichtbaren Kräften. Newton suchte auch nach analytischen Erklärungen, insbesondere mit Hilfe der Geometrie. In seinem Bild gab es keine Zufälle.

Der Apfel der Erkenntnis wurde von den Spirits im entscheidenden Moment auf seinen Kopf platziert, weil die Welt verstandesbetriebene Lösungen brauchte. Der Verstand konnte den Menschen vom Krieg, vom Hass, von dummen Erklärungen und dem Hexenwahn erlösen. Newtons Schaffenskraft wurde auf den Verstand und die Logik, auf materielle Physik und Naturgesetze gelenkt. Damit sollte die Weltenseele einen Ausweg aus dem Gefängnis des Irrsinns finden.

Das ist eine grundlegend naturnahe, schamanische Erklärung, die Regeln des Lebens in die Welt bringt. Die Grundlage der Naturgesetze ist ein nachvollziehbares Prinzip für jedes Lebewesen. Die Erfahrungen in der Natur lassen Regelmäßigkeiten erkennen, die für das Leben wichtig und hilfreich sind. In einer naturbezogenen, schamanischen Erfahrung werden ebenfalls Regelmäßigkeiten gefunden und beachtet. Sie sind für die menschlichen Naturgesetze fundamental, da sie außerhalb des engen mathematischen Rahmens gültig sind.

Solche Regeln sind:

Wir sind im Leben, um glücklich zu sein.
Eine unglückliche Seele verlässt das Gefängnis der Materie.
Das Leben schafft für das Glück der Seele die Rahmenbedingungen.
Das Leben gibt Dir was Du brauchst, nicht was Du willst.
Der Wille soll der Entwicklung des Lebens nicht im Weg stehen.
Das Leben braucht vergangenes Leben.
Chaos ist der Normalfall, es gibt keine Zufälle.
Liebe ist die stärkste Anziehungskraft.
Es gibt keinen Mittelpunkt außer der Erde.

 

Regeln entstehen im Leben

Die neue, verstandesgetriebene Sicht auf die Welt und das Leben hat also mit Newton den ersten Schritt auf einem neuen Weg getan. Die Chaostheoretiker würden sagen, ein Bifurkationspunkt wurde erreicht. Sie haben Newtons Theorie gelobt und gleichzeitig kritisiert. F. David Peat hat hervorragende Bücher über die Chaostheorie verfasst. In seinem Buch „Der Stein der Weisen“[28] schreibt er über Newtons wissenschaftliche Errungenschaften: „Doch aufgrund ihrer außerordentlichen Vorhersagefähigkeit hat die Newton-kartesische Karte schließlich alle anderen verdrängt. Seither verwechseln viele Menschen die Mathematisierung der Natur mit deren Wirklichkeit.“

Ist diese Erklärung für die Entwicklung des Weltbildes plausibel oder sogar überzeugend? Welches Weltbild hätten wir heute, wenn Newton nicht gelebt und geforscht hätte? War diese Entwicklung in der Betrachtung und Erklärung so zwingend, dass sie auch ohne Newton in der gleichen Form unsere Gesellschaft und ihre Wissenschaft und Technik geprägt hätte? Die Fragen führen uns in das Reich der Spekulationen. Tatsächlich hat Newton nach den Regeln des Lebens gesucht und die moderne Physik gefunden. Seine Fundstücke waren einfach genug und dienten Jahrhunderte als Paradigma der Welterkenntnis. Seitdem hat die Physik uns Menschen von der Natur immer weiter entfernt. Es wird notwendig, sich auf die Quelle der Erkenntnisse zu besinnen und wieder an die Natur zu binden.

Aus der fundamentalen Bedeutung der schamanischen Regeln resultiert eine wesentliche Frage, die wir an das Ende stellen, weil sie den Stoff für ein eigenes Kapitel abgibt: Newton hat mit der Gravitation die Quantifizierung eines Naturgesetzes aufgestellt. Diesem Gesetz liegt aber keine Kausalität oder zweiwertige Logik zugrunde. Die Wirkung der Gravitation ist beobachtbar, nicht aber die Ursache. Newton hat eine rational unerklärliche Ursache, die von den Sinnen nicht erfasst wird, mit einer berechenbaren Wirkung in der materiellen Welt kombiniert. Darauf baut eines der grundlegenden Gesetze für die materielle Welt auf: Gravitation.

Zu welchem Bild des Lebens sind wir fähig, wenn wir das Prinzip der spirituellen Ursachen für materielle Wirkungen anerkennen?

Epilog

Naturgesetze beschreiben Regelmäßigkeiten in der Natur. In den Naturgesetzen werden Kausalitäten als die Basis von Erklärungen und Vorhersagen verankert. Damit begann die moderne Wissenschaft.

Die Gelehrten und Naturwissenschaftler haben seit Beginn der Neuzeit nach Kausalitäten gesucht. Sie forschten nach der Ursache für eine Wirkung, die sie beobachteten. Diese Ursache musste in der Nähe der Wirkung zu finden sein und sie wird vor der Wirkung erwartet.

Die von Newton definierte Gravitation ist entgegen der seinerzeit geforderten Kausalität eine instantane Fernwirkung. Sie verletzt die Gesetze der Physik und Mechanik seiner Epoche. Außerdem wird die Transitivität einer Wirkungskette nicht eingehalten. Die Ursache der Gravitation wäre demnach auch die Ursache für den Aufprallschmerz des Apfels auf Newtons Kopf. Das trifft nicht zu, denn die Gravitation hat keine Ursache im Rahmen der quantifizierten Gesetzmäßigkeiten.

Bei diesen Widersprüchen gegen die herrschende Lehre der Physik seiner Zeit muss Newton ein ganz ausgeprägtes Vertrauen in seine Eingebungen und Visionen gehabt haben. Jeder Andere hätte sich von diesen schwierigen Widersprüchen ausbremsen lassen oder hätte den Mut verloren, in dieser Richtung weiter zu arbeiten und darauf ein Gedankengebäude zu erreichten, ohne den Boden manifestiert zu haben.

Sein alchemistischer Hintergrund und sein Vertrauen in seine Spirits haben ihn ermutigt, seinen Weg weiter zu gehen. Die unmittelbare Wirkung ist ein sehr typisch schamanisches Bild. Alles ist miteinander verbunden und wie in einem Netz ist die jeweilige Wirkung an allen Orten dieses Netzes zu beobachten. Als ob wir in einem gemeinsamen See schwimmen und die Gefühle unmittelbar teilen.

 

Die spirituellen Erfahrungen sind außerhalb von Raum und Zeit

Die Gravitation ist außerhalb von Raum und Zeit.

Das Missverständnis in der Anwendung der Naturgesetze hat sich irgendwann eingeschlichen, als sie auf das Leben bezogen wurden. Die naturwissenschaftlichen Gesetze gelten nur in eng abgegrenzten Rahmenbedingungen, nämlich in der quantifizierbaren und technischen Welt. Wer hat Interesse daran, den Geltungsbereich dieser Spielgrößen aus dem mathematischen Versuchslabor zu erweitern? In der ersten Verdachtslinie stehen hier wieder Machthaber, die die Restriktionen weggenommen haben, innerhalb derer aus den Naturgesetzen Schlüsse gezogen und Erwartungen abgeleitet werden dürfen. Macht geht mit Kontrolle einher und quantifizierte Größen und Zusammenhänge lassen sich besser kontrollieren. Mit solchen berechenbaren und kontrollierbaren Größen werden Regeln bestimmt, deren Einhaltung erzwungen werden kann.

Wir erkennen, dass die Regeln der Machtkultur auf Erkenntnissen aufbauen, die ihren tieferen Ursprung aus den Naturgesetzen ableiten. Gehen wir einen weiteren Schritt zur Basis der Naturgesetze zurück, so sehen wir am Beispiel der Gravitation und den Fallgesetzen, dass es ihnen an den erklärlichen Ursachen und damit an der Verbindung zur Natur mangelt. Die Naturgesetze sind Regeln, die der Mensch nicht beeinflussen kann. Die Gesetze der Menschen werden von diesen aufgestellt und beeinflusst. Diese aufgestellten Aktionen und Regeln haben sich von den Grundlagen des Lebens gelöst. Sie beziehen sich auf eine Scheinwelt, in der physikalische Gesetze aufgestellt und verabredet wurden. Die Gleichsetzung von Gesetzen des Menschen und der Natur ist ein Stein im Fundament der Macht.

[1] Von den Rätseln der konventionellen Medizin, der Biologie, der Chemie oder gar der Sozialforschung soll hier gar nicht die Rede sein.
[2] oder in jeder abrahamitisch geprägten Machtkultur der Gegenwart
[3] M. Hampe, Eine kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs, S. 38: „Menschen ... transzendieren die von ihnen erkannte Welt mit ihrem Erkenntnisvermögen und sind dadurch auch zu besonders gravierenden Eingriffen in die Welt befähigt. So können sie als freie Wesen Kausalketten beginnen lassen ...“
[4] S. F. David Peat, Der Stein der Weisen, S. 29.
[5] M. Hampe, S. 38
[6] Zur Beziehung zwischen Mathematik und Physik s. R.P. Feynman; Vom Wesen physikalischer Gesetze, S. 49
[7] M. Hampe, S. 44
[8] Schrödinger nennt das ein „Frage- und Antwortspiel“ E. Schrödinger, Naturgesetz, S. 20
[9] Francis Bacon hat es als Methode in die Naturwissenschaft eingeführt.
[10] E. Schrödinger; Was ist ein Naturgesetz? S. 32 ff.
[11]„Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit.“ A. Einstein; Physik und Realität, 2005, S. 65
[12] Die Wissenschaft sucht nach Einstein Beziehungen aufzudecken, die prinzipiell unabhängig vom forschenden Menschen existieren. A. Einstein; Aus meinen späten Jahren, Frankfurt 1984, S. 53
[13] Der Gedanke der Natur als Maschine entspringt den Phantasien der Neuzeit, die alles als Maschine mit Funktionen begriffen hat. Nach den Vorstellungen dieser Wissenschaftler sollte sogar der Mensch eine Maschine sein.
[14] F. David Peat; Der Stein der Weisen, S. 184f
[15] ‚geteilt‘ hat hier nicht die Bedeutung von Abtrennung, sondern von Teilhabe.
[16] Siehe dazu das Zitat von Francis Bacon und den Beitrag über Macht und Stärke.
[17] I. Kant in der Zusammenstellung der Protagonisten
[18] Im Teil ‚Die Welt aus dem Soolago‘ ist das immaterielle als „Galiora“ definiert.
[19] John Locke hat dafür die Basis gelegt mit seiner Philosophie der großen Zahl, die er in seinem Buch über den Staat erläutert hat. John Locke; Zwei Abhandlungen über die Regierung; Frankfurt a. M 1977, besonders S. 283 ff.
[20] Ervin Laszlo, Systemtheorie als Weltanschauung, München 1998, S. 28 f.
[21] Die von Descartes unterstellte Trennung von Geist und Materie wird in der Systemtheorie nicht überwunden.
[22] Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela: Der Baum der Erkenntnis; deutschsprachige Ausgabe 1987, Bern und München, S. 51.
[23] Das ist sicher eine Metapher und wir arbeiten innerhalb der Metapher weiter.
[24] Diese Passage ist analog entwickelt zu dem Gedankengang von F. David Peat, Chaos... S. 41 f.
[25] Ken Dychtwald, Reflexionen über das holographische Paradigma, in: Das holographische Weltbild, Ken Wilber (Hrsg.), Bern 1986,
S. 115 ff.
[26] James Gleick, Isaac Newton, Die Geburt des modernen Denkens, Düsseldorf, 2003, S. 62 ff
[27] Federico Di Trocchio; Newtons Koffer, Geniale Außenseiter, die die Wissenschaft blamierten. 2. Aufl. Frankfurt/Ney York, 1998, S. 252
[28] David Peat. S. 43