Welt

 

Macht und Stärke

„Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Friedrich Schiller, Wilhelm Tell I,3

Der Starke ist gemeinsam stark und wird stärker, wenn er die Stärke teilt. Will er aber mächtig sein und Macht ausüben, die unteilbar ist, dann ist er allein am mächtigsten. Macht ist also Konzentration und Macht wächst mit der Zahl derer, die diese Macht akzeptieren.

Die Macht in allen Lebensbereichen wurde das Fundament des westlichen Weltbildes, der Ethik und der gesamten Interpretation der Natur und aller Ereignisse und Beobachtungen in der Welt. Sie schränkt die Freiheitsgrade ein und selektiert aus den Möglichkeiten diejenigen, die zum Machterhalt und der Vergrößerung des Reichtums dienen. Dahinter tritt das Wohl aller anderen Menschen und der gesamten Natur zurück. Macht hatte lange kein brauchbares und quantifiziertes Ziel, außer das mehr besser war. Im England des Spätmittelalters lieferten sich die Könige und Königinnen aus England, Irland, Schottland und Wales mörderische Machtkämpfe. Sie stachen sich aus und brachten sich um. Intrigen und Kriege, Drohungen und Erpressungen bestimmten das Leben der Machthaber. Sie versuchten den engen Raum der Insel zu beherrschen.

Wegen des Anspruchs der Herrscher auf die alleinige Macht, nennt man diese Epoche den Absolutismus. Heinrich VIII hatte die größte Machtfülle in England. Er regierte bis zu seinem Tode 1547. Die Pest hatte die Bevölkerung im 14. Jahrhundert ungefähr um die Hälfte dezimiert. Heinrich der VIII. herrschte über ungefähr 3 Mio. Engländer. Nach ihm bestieg Elisabeth I. den Thron und England wurde durch Eroberung anderer Länder und deren Ausbeutung, vor allem aber durch Piraterie zu der mächtigsten Nation der damaligen Welt. Unliebsame Widersacher wurden üblicherweise hingerichtet ( Elisabeths Mutter Anne Boleyn, wurde auf Befehl Heinrich des VIII. 1536 enthauptet; Thomas Seymour, Elisabeths Geliebter wurde auf Drängen ihrer Berater 1549 enthauptet; Thomas Wyatt, der ursprünglich als Rebell zugunsten Elisabeths auftrat wurde 1554 enthauptet; Maria Stuart, die ungelittene Halbschwester und Königin von Schottland wurde 1587 enthauptet; Thomas Howard, Herzog von Norfolk, hingerichtet 1572, wie zuvor sein Vater.

In den anderen europäischen Gegenden sah es nicht viel anders aus. Die Häuser der Herrscher erweiterten ihre Macht auf Kosten der Völker. Das Volk hungerte und starb, wurde willkürlich regiert und als Leibeigene gehalten, Die Kindersterblichkeit war extrem und die durchschnittliche Lebenserwartung lag in der Folge unter dreißig Jahre. Das Volk war versklavt und Kanonenfutter.

Das Goldene Zeitalter der Spanier (1550 - 1660) war bei genauer Betrachtung ein kurzer Aufschwung, der von der Plünderung der Kolonialgebiete in Südamerika gespeist wurde. Zehntausende von Tonnen an Gold und Silber wurden über das Meer nach Spanien gebracht. Auf dem Seeweg fielen die Schiffe immer wieder den englischen Piraten in die Hände, die damit indirekt an dem Aufschwung partizipierten. Trotzdem begann der Abschwung der spanischen Hegemonie um 1600 mit militärischen Niederlagen und Gebietsverlusten. Spanien war trotz des ungeheueren Zuflusses von Edelmetallen und Reichtümern der Inkas und Azteken im 17. Jahrhundert mehrfach bankrott.

Die sogenannte ‚kleine Eiszeit‘ zwischen 1560 und 1630 war für eine Reihe von Missernten verantwortlich, unter denen vor allem das einfache Volk litt. Hunger und Armut waren die Folge. Mit der schlechteren gesundheitlichen Kondition und der mangelhaften Hygiene waren die Menschen anfälliger für Seuchen. Die Pest raffte in der Mitte des 17. Jahrhunderts fast die Hälfte der Bevölkerung hinweg. Die Verelendung der Menschen wurde aber von den Wohlhabenden als Bedrohung wahrgenommen. Aus dieser Angst erwuchs auch die weitere Unterdrückung der Menschen und die irrationale Verfolgung von Hexen und Zauberern. Der Tod war allgegenwärtig.

In Europa herrschte Krieg, der 100 jährige Krieg zwischen England und Frankreich, der 30 jährige Krieg überall in Europa. Das Barock war das Stadium des Absolutismus. Die großen und kleinen Herrscher versuchten Ludwig dem XIV nachzueifern und ein prunkvolles Leben zu führen. Das lies sich nur zu Lasten des einfachen Volkes, vor allem der Bauern erreichen. Das vorherrschende Gefühl in dieser Epoche und in jeder Machtgesellschaft ist die Angst. Die Angst der Herrschenden um ihre Macht, die Angst vor Intrigen, die Angst vor Geistern, Hexen und Zauberern, die Angst der Kleinen vor den Großen und die Angst der Kleinen vor Ihresgleichen, die Angst der Eltern um ihre Kinder, die Angst der Unterdrückten.

Die Bauern in Deutschland versuchten sich mit einem Aufstand zu wehren. Im Jahre 1524 rebellierten sie gegen die Obrigkeit. In Deutschland schlossen die sich die Aufständischen in sogenannten ‚Haufen‘ zusammen und stürmten die Burgen und Schlösser. Sie wollten keinen Bürgerkrieg und kein Blutvergießen. Sie forderten einfach eine menschliche Behandlung und die Möglichkeit zu Überleben. Sie wollten eine Aufhebung der Sklaverei (Leibeigenschaft), feste Strafen in den Prozessen und keine willkürliche Rechtsprechung des Gutsherren, kein Mortuarium und Rückgabe der Wälder um sich von der Jagd zu ernähren. Die Machthaber brauchten aber für sich selbst Argumente, warum die Machtausübung sinnvoll ist. In der Natur kann man das Prinzip nicht finden, hier herrscht Synergie vor.

Ihr Einfluss auf die Wissenschaft, die Physik, die Biologie und jede Darstellung der Welt mit menschlichen Worten wurde im Feudalsystem der Engländer gelegt. „Nam et ipsa scientia potestas est.“ Denn die Wissenschaft selbst ist Macht.[1] Die Macht wurde von den Philosophen der englischen Gesellschaft verteidigt und mit einem ideologischen Unterbau versehen. Dieser Effekt konstituierte sich selbst, denn die damaligen Philosophen haben teilweise die Argumente geliefert, die dem englischen König zur Sanktionierung der Macht gefehlt haben.

Thomas Hobbes[2] versieht die Menschen schon zu dieser Zeit mit einem Preis: „Die Geltung oder der Wert eines Menschen hat wie der aller anderen Dinge seinen Preis.“[3] Der Mensch wird hier als Ding bezeichnet und noch herabwürdigender mit einer Maschine verglichen: (aus Einleitung ausführlich zitieren)

Für den König wurde das Postulat argumentiert, dass die größte Macht mit der größten Zahl unterdrückter Menschen entsteht. Derjenige hat mehr Macht, der viele Menschen seinem Willen unterwirft.[4] Die Unterwerfung schränkt die Freiheit der Vielen ein. Das Postulat wäre wirkungslos, wenn es nicht akzeptiert wird. Macht wird zu Macht, wenn sie anerkannt wird. Sie wird aus Angst geduldet.

Macht ist unteilbar, geteilte Macht ist halbe Macht. Stärke ist wie die Liebe unendlich, geteilte Stärke ist doppelte Stärke. Wie Macht ist sie ein kollektives Phänomen, ein Charakteristikum des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Es braucht mehrere Individuen oder Strukturelemente. Beide Phänomene sind über die Art der Beziehungen definiert.

Der Machthaber ist daran erkennbar, dass er nichts ist ohne diejenigen über die er Macht ausübt. Ein König kann nur König sein, wenn er Untertanen hat, ein Sklaventreiber kann nur Sklaventreiber sein, wenn er Sklaven hat, ein Riese kann nur groß sein, wenn es kleinere gibt. Macht ist endlich und muss akzeptiert werden oder wenigstens geduldet werden.

Stärke wird geteilt. Die Stärkebeziehung muss nicht akzeptiert oder geduldet werden. Wer an der Stärke nicht teilhaben will, scheidet aus dem Beziehungsgeflecht aus. Das ist ohne Einschränkungen oder Einfluss auf die Stärke in einer Gruppe, die Stärke teilt. Stärke teilen heißt in Synergie zu leben.

Das Leben in Synergie ist das Leben in der Natur und im Vertrauen auf die Geborgenheit und Stärke, die Natur uns spendet.[5] Dieses Vertrauen wird von der Natur mit Wohlergehen und Zufriedenheit belohnt und es erfordert nichts mehr, als sich an die Randbedingungen anzupassen, die das Wesen jeweils vorfindet. Das kann zum Beispiel eine Umgebung mit Wasser, anderen Lebewesen, Pflanzen, Bergen, Sonne oder Dunkelheit sein. Das kann eine Familie oder ein Stamm sein. Das sind die eigenen Möglichkeiten sich zu bewegen, zu sehen, zu hören, oder die eigene Welt zu erleben. In Synergie werden keine Randbedingungen für andere Wesen erzeugt, die Angst hervorrufen. Eine Angst in dem Sinne, wie ich sie in dem Abschnitt über ‚Liebe und Angst‘ beschrieben habe als Angst ...

In Synergie mit der Natur werden tatsächlich Rahmenbedingungen für sich selbst oder für andere Wesen in der Natur erzeugt. Ein Biber gestaltet und verändert seine Welt und das Ökosystem für andere. Er verändert Randbedingungen an die er sich in einem weiteren Zyklus der Veränderung wiederum anpasst. Wir bezeichnen das als Kybernetik oder holistische Systeme. In der synergetischen Welt brauchen wir keine Ursachen und Wirkungen zu erklären, weil die Ursachen nicht erklärbar sind und sich der intellektuellen Wahrnehmung entziehen. Sie brauchen zum Leben nicht erklärt und verstanden zu werden. Bereits die Wahrnehmung der Randbedingungen mit allen Sinnen, einschließlich der spirituellen, reicht aus die Möglichkeiten des Handelns zu ergreifen.

In einer speziellen Konstellation führt das zu unnatürlichen und fatalen Entwicklungen. Wenn Macht auf eine natürliche Welt, auf eine Welt aus Synergie trifft, dann strebt das gesamte System in die Angst. Mir scheint, dass dies nur für menschliche Gemeinschaften zutrifft, jedenfalls kann man es dort beobachten. Die Kolonisation hatte das klare Ziel die Macht der Besetzer zu vergrößern. Sie kannten das Prinzip des Machtaufbaus mit Hilfe der Angstverbreitung.[6] Diese von den Besetzern eingeführte Macht war für die Völker in Synergie eine Randbedingung, in der sie ihre Möglichkeiten suchten. Die Entwicklung nahm von da ab einen fatalen Verlauf, weil Machtmenschen nicht die Zufriedenheit aller anstreben, sondern die Vergrößerung ihrer Macht. Und obwohl dies langfristig immer zu einem Kollaps führte, ist es kurzfristig erfolgreich im Sinne des Machthabers zur Erreichung seiner Ziele.

Mit trickreichen Verhandlungen konnten die Eroberer des amerikanischen Kontinents ihre Interessen durchsetzen und ihre Macht ausbauen. Sie trafen auf Völker, die einen Ausgleich der Interessen suchten und die weißen Besetzer zunächst als Gäste willkommen hießen. Da es in ihrer Kultur und mit ihrer Ethik unmöglich war, die Mutter Erde zu besitzen oder gar zu verkaufen, waren die Verträge zu dem Landerwerb für sie unwirklich. In ähnlicher Weise war es für die Eroberer unwirklich, eine Verabredung mit dem Pfeifen-Ritual zu besiegeln. Am Ende sorgte die Anwendung von Angst und Schrecken für die Durchsetzung der Macht in den erschlichenen Territorien - ganz in Einklang mit der kirchlichen Doktrin und ihrem Vorbild. In Afrika ging dieser Prozess noch schneller vonstatten, als in der Neuen Welt. Wenige Menschen eines Stammes oder eines Landstriches wurden ermordet oder bestraft, um damit die anderen einzuschüchtern und ihnen zu verdeutlichen, dass sich nun die Randbedingungen für ihr Überleben geändert haben.

Diese Vorgehensweise braucht keine ausgeprägte Ethik oder Lebensbilder. Die westliche Kirche[7] zeigt, wie Angst zu Macht verhilft, der Herrscher ist das Vorbild, die Erfolge werden mit den Zuwendungen der Gesellschaft belohnt und Bestrafungen der Unterdrückten sind nicht zu erwarten. Jeder Mensch ohne eigene Ethik der Menschlichkeit kann als Eroberer, Unterdrücker und Missionar erfolgreich sein. Das organisierte Verbrechen verfolgt das gleiche Prinzip der Einschüchterung zum Machtaufbau. Die Mafia und ähnliche Zusammenschlüsse verbreiten Angst und machen sich damit die Menschen in ihrem Einflussgebiet gefügig. Die Bildung des Herzens, Gefühle der Liebe und Fürsorge, naturnahe Ethik oder ein ganzheitliches Weltbild sind der Durchsetzung der Macht hinderlich und mit dem Machtprinzip sogar unvereinbar.

Beim Einzelnen ergibt weder die Bezeichnung von Stärke noch von Macht einen Sinn. Macht und Stärke sind nur im gesellschaftlichen Kontext erklärbar, denn es braucht die Untergebenen, über die Macht ausgeübt werden kann. Andernfalls ist der Machthaber nicht definiert. Ebenso braucht es für die Synergie den Austausch mit Anderen, damit der Vorteil auf jeder Seite realisiert und erkannt wird. Das gilt nicht nur in gesellschaftlichen Systemen, sondern ebenso in Bezug auf die Natur oder die anderen Wesen. Der Mensch kann sich eine Welt definieren oder erfinden, in der die Macht über die Natur oder andere Wesen zur Grundlage seines Weltbildes erhoben wird. Das ist das Vermächtnis seines Verstandes, der ihn aus dem Paradies ausgeschlossen hat und ihm sein Selbstbewusstsein gegeben hat, mit dem er nun sein eigener Beobachter wird.[8]

Analogie und Verbindung zu dem Selbst und dem Ego...q

Bei der Betrachtung des individuellen Menschen ersetzt die ‚Liebe und Angst‘ die Kategorien von ‚Stärke und Macht‘. Stärke wächst, wenn sie geteilt wird. Sie ist in dem gleichen Sinne unendlich wie die Liebe.[9] Wie die Liebe braucht das Teilen der Stärke das Vertrauen in die Natur oder die Spirits, die das Nehmen und Geben unterstützen. Das Vertrauen lässt die Umsetzung der Synergie zu, denn es stärkt die Bindungen zu der Geborgenheit, in der das Teilen der Liebe für alle zu einer Verbesserung ihrer Lebenssituationen führt.

Die Liebe verdrängt die Angst, wie die Stärke die Macht verdrängt.[10]

Der Mächtige ist schwach. Der Starke ist stark.

Angst ist die Peitsche der Macht. Der Mächtige hält seine Quantitäten zusammen, er ist selbst voll Angst, seine Macht zu verlieren und sei es nur einen Teil. Die Idee des Teilens setzt das Konzept der Teilbarkeit, der Atomistik voraus.[11]

Unendliches kann geteilt werden ohne dass etwas verloren geht. Qualitäten und Gefühle werden verschenkt oder gemeinsam genutzt. Die Galiora sind vermehrbar -  geben ohne zu verlieren.

Die teilbare Welt hat deshalb die Fiktion der Macht erst ermöglicht. Etwas nicht teilen zu wollen setzt die Kenntnis und die Annahme einer teilbaren Welt voraus. Diese Weltanschauung geht auf die griechische Philosophie der Stoiker zurück, die in den kleinsten Einheiten das Beständige der Welt sehen wollten.[12]

Macht ist die Zuteilung von quantifizierten Entitäten. Macht gibt und verliert oder teilt messbare Einheiten ein. Macht ist ein kulturelles Phänomen, dem die Quantifizierung und Teilbarkeit vorausgeht. Macht verbreitet Furcht und kann nur außerhalb des Paradieses gedeihen.[13]

Stärke ist ein natürliches Phänomen, das allein die Galoria braucht, um sich unendlich fortzusetzen.

 

[1] Francis Bacon, 1597

[2] Hobbes war vor dem Tod Francis Bacons sein Sekretär.

[3] Thomas Hobbes, Leviathan, S. 67

[4] Hobbes, Leviathan, S. 66 „Die größte menschliche Macht ist diejenige, welche aus der Macht sehr vieler Menschen zusammengesetzt ist, die durch Übereinstimmung zu einer einzigen natürlichen oder bürgerlichen Person vereint sind, der die ganze Macht dieser Menschen, die ihrem Willen unterworfen ist, zur Verfügung steht, wie z.b. die Macht eines Staates.

[5] Natur ist hier im weiten Sinne verstanden als die Lebensumgebung, die „Erde“ oder „Spirit“ oder „ „genannt werden kann.

[6] Siehe dazu das Kapitel zu ‚Liebe und Angst‘

[7] Die westliche Kirche wird hier zitiert, weil sie sich in der Kolonialzeit, im Mittelalter und im Altertum auf die Seite der Machthaber gestellt hat. In ähnlicher Weise gilt das auch für andere Kirchen oder Organisationen, die Angst als Mittel zur Festigung und Stärkung ihrer Macht einsetzen.

[8] S. dazu auch das Kapitel zum Paradies und den Gefühlen

[9] Jean Jacques Rousseau hat in seinem bekannten Werk ‚Emile’ die Stärke als die Grundlage aller Tugend bezeichnet.

[10] S. Den Textteil zu Liebe und Angst

[11] s. den Textteil zu Atomistik

[12] s. den Textteil zu Werden und Vergehen

[13] s. den Textteil zum Paradies und dem Austritt daraus