Welt
Macht in der Welt
Die Macht ist ein fundamentales Element in der westlichen Kultur der Neuzeit. Macht unterdrückt, Macht beutet aus, Macht verbreitet Angst, Macht selektiert das Wissen, Macht manipuliert die Menschen, Macht schränkt die Freiheit ein. Wir bezeichnen in unserer technischen Kultur einen Mächtigen sogar als erfolgreich. Macht ist jedoch endlich, weil sie sich abgrenzen muss und durch eine Teilung verringert wird.
Ich werde deshalb die Macht in diesem separaten Kapitel besprechen und dem Konzept der Macht an den passenden Stellen die Synergie in der Natur aus einem schamanischen Blick gegenüberstellen. Das Ergebnis der Synergie in der Natur ist die Stärke, die synergetisch geteilt wird. Stärke ist insofern unendlich, weil sie durch Teilen vermehrt wird. Dieses Bild verwende ich, um die Gegenüberstellung zu erleichtern. Mit dieser Definition scheint das Teilen doch etwas Endliches zu sein. Deutlicher ist das Bild eines Sees der Stärke, in dem wir gemeinsam schwimmen.[1]
> Prolog
> Eine technische Kultur
> Vom Wesen der Macht
> Macht schränkt Freiheitsgrade ein
> Kultur der Macht
> Kultur und Natur
> Stärke in der Natur
> Epilog
Eine technische Kultur
Wir beginnen bei einer einfachen Beobachtung der natürlichen Vorgänge. Das kann jeder, dazu haben wir unsere Sinne. Selbst ein Chaos können wir beobachten, wenn auch nicht gut erklären. Die Beobachtung der Natur ist der Ausgangspunkt für unsere mechanistische Wissenschaft seit der Neuzeit. Werfen wir also einen schamanisch geprägten Blick auf ein Phänomen der Natur.
Die Natur entfaltet sich in einem unüberschaubaren Chaos von Möglichkeiten am besten, wenn wir nicht eingreifen und nichts wegnehmen oder hinzugeben. Wir Menschen wissen nicht, warum Bienen die Pflanzen auf das sorgfältigste bestäuben und Honig erzeugen. Wir wissen nicht, warum ein Kirschbaum Abertausende von Kirschen auf die Erde wirft, die von allen Tieren mit Genuss vertilgt werden. Viele Kirschen vertrocknen einfach und werden zum Humus, zu organischem Abfall. Einige dieser Kirschen werden von Vögeln oder Nagern gegessen und weitergetragen, sie schlagen Wurzeln und versuchen als Trieb in die Höhe zu wachsen, der Sonne entgegen. Nur die allerwenigsten der Triebe wachsen zu einem neuen Baum heran. Wir werden kaum sagen können, dass der Zweck der Kirschen die Ausbildung eines neuen Kirschbaumes ist. Zu weit überwiegendem Anteil sind sie Nahrungsmittel, der Kirschbaum teilt also seine Früchte mit Lebewesen. Er teilt mit den anderen seine Stärke und erweitert damit deren Freiheitsgrade. In der Natur ist die Synergie das Prinzip des Zusammenlebens, bei der die Freiheitsgrade der Anderen erweitert werden.
Synergie ist das natürliche Prinzip.
In der Synergie wird der Kirschbaum von der Natur unterstützt. Sie bringt Wasser an seine Wurzeln, Sonne an seine Blätter und Völker von Bienen widmen ihr Leben dem Kirschbaum. Der Kirschbaum steht in dem Humus, in dem ehemaligen Leben von Pflanzen und Tieren.
Die Natur trägt zu seinem Leben das Wasser bei und vermittelt den Kontakt zur Sonne, mit jeder Umdrehung der Erdkugel einmal um sich selbst.
Unsere Welt ist technisch geprägt. Die Technik funktioniert nur mit einem gegensätzlichen Konzept zur Natur und zum Leben. Sie funktioniert nur ohne die Einflüsse der Natur.
Unter den Effizienzbetrachtungen der technischen Welt ist Synergie eine enorme Verschwendung von Energie und Kraft. Wenn es darum geht, einen neuen Kirschbaum mit bestimmten Eigenschaften zu ziehen, sieht die technische Lösung anders aus: ein Kirschtrieb wird veredelt. Damit nimmt man dem Baum die Möglichkeiten, sich mit den Eigenschaften der Elternpflanzen weiterzuentwickeln. Man will eine Sorte vervielfältigen, die genaue prognostizierbare Merkmale wie Geschmack, Farbe und Qualität hat. Der Mensch greift in die natürliche Entwicklung ein und beschränkt die Freiheitsgrade einer möglichen Entwicklung. Er wendet Macht an.
Macht schränkt die Freiheitsgrade ein, Synergie erweitert sie.
Ohne die Kräfte der Natur hat der Mensch keine Macht. Er ist nur in der Lage, einen schmalen Ausschnitt der natürlichen Wirkungsketten zu kontrollieren. Die Zellen kann er nicht teilen, damit der veredelte Baum wächst. Die Blüten kann er nicht bestäuben. Wasser kann er nicht zusammensetzen. Sonnenlicht kann er nicht simulieren. Und für die wesentliche natürliche Kraft der Gravitation, gibt es keine wissenschaftliche oder gar technische Erklärung. Die Technik kann ihre Wirkung messen, aber die Ursache der Gravitation nicht erklären. Die Gravitation hält den Baum auf dem Boden und alles Andere um ihn herum hält sie ebenfalls zusammen. Der Mensch kann zu dieser grundlegenden Naturkraft nichts beitragen oder etwas von ihrer Wirkung auf das Leben des Kirschbaumes simulieren. Genau betrachtet kann er mit technischen Mitteln überhaupt nichts zum Leben beitragen. Die Technik grenzt die natürlichen Möglichkeiten ein.
Der Mensch kann dem Leben etwas wegnehmen, zum Beispiel die Kirschen oder den Honig. Er kann die Zweige mit den Kirschblüten abschneiden und in eine Vase stellen. Er kann den ganzen Kirschbaum absägen und sich eine Kommode bauen. Das ist destruktiv. Konstruktiv kann der Mensch nichts beitragen, dass nicht vorher schon in der Natur war. Selbst wenn er Atome irgendwo in der Natur findet, kann er sie nicht zu einfachen Wassermolekülen zusammenbauen, weil er nicht weiß, was sie zusammenhält. Einen ganzen Eimer voller Wassermoleküle zum Wohle des Baumes zusammenzustellen, mutet zurecht völlig absurd und unmöglich an.
Ein guter Techniker kann berechnen, wieviel Moleküle des Wassers den Eimer füllen. Das trägt nicht zum Gedeihen des Kirschbaumes bei. Eine Gruppe guter Techniker kann Eisenerz aus dem Boden holen, zu Eisen verarbeiten und einen Eimer daraus basteln. Das braucht aber sicher mehr Energie, als der gesamte Kirschbaum liefern kann. Wenn Technik funktioniert, dann hat sie nichts mit dem Leben zu tun. Die technischen Produkte und ihre Abfallstoffe sind für das Leben und für die Natur unbrauchbar. Technik nimmt Teile der Natur und bringt sie in einen anderen Zusammenhang. Die Technik entnimmt in jedem Prozess aus der Natur etwas Materielles, das sie zur Produktion braucht und gibt etwas anderes Materielles zurück, das sie nicht braucht. Für die Natur wird der Eimer und der Hochofen zur Herstellung des Eisens erst wieder brauchbar, wenn er zerstört ist und seine Bestandteile in das kreative Chaos der Natur zurück integriert wurden. Dazu braucht die Natur wie immer das Wasser, die Sonne und die Dunkelheit und die Mithilfe der Gravitation. Die Technik preist ihre Produkte selbst als besonders gut und haltbar, wenn der Prozess der Reintegration in die Natur lange dauert.
Die Natur oder die Mutter Erde hat keine Sicht auf die menschliche Technik und sie stellt auch keine Frage nach dem Sinn.[2] Wenn wir die Position der Natur einnehmen und Fragen stellen, dann verwende ich den Begriff der ‚schamanischen Sicht’ auf die Welt. Aus dieser Sicht auf unsere Welt komme ich auf die Frage, warum der Natur etwas entnommen wird, das sie schwächt und warum damit ihre Möglichkeiten für das Leben eingegrenzt werden?
Sie werden oft so eingegrenzt, dass die Natur langfristig darunter leidet, weil sie ausgebeutet wird und der Mensch in der materiellen Kultur nur kurzzeitige Vorteile aus der technischen Entwicklung ziehen wird. Diese Fragen werden unter verschiedenen Themenbereichen diskutiert. Einige Bearbeiter sprechen vom ‚Tod der Natur‘[3], andere vom Ökozid[4], die Warnungen vor dem Klimawandel werden schon von den Kindern und Jugendlichen aufgegriffen. Wir geben Techniken wie die Kernenergie oder die Kohleverstromung wieder auf, weil sie sich weder ökonomisch noch gesellschaftlich als tragbar erwiesen haben.
Technik hat eine Funktion und technische Entwicklungslinien haben ein Ziel. Damit Technik funktioniert, braucht sie stabile Randbedingungen und möglichst konstante Strukturen. Natur hat keine Funktion oder Zielorientierung und passt sich an veränderte Strukturen und Randbedingungen an.
Natur ist kreativ, Technik ist konservativ und strukturiert.
Das Ende von Entwicklungslinien in der physikalischen Welt und die Aufgabe von Techniken geht immer mit Diskussionen und Widerständen einher. Wir halten an den aktuellen Strukturen fest, selbst wenn sie nicht mehr zu den veränderten Rahmenbedingungen passen und Entwicklungen im Wege stehen. Um Platz für neue Ideen und Innovationen zu machen, bringt uns die Suche nach den Gründen und Hintergründen für die Einführung und Akzeptanz der Techniken oder ökonomischen Strukturen oft schneller zum Ziel. Wenn wir analysieren, warum, in welchen Randbedingungen und mit welcher Motivation eine gesellschaftliche oder technische Entwicklung in Gang gesetzt wurde, lässt sich evaluieren, ob sie unter veränderten Bedingungen oder nach neuen Informationen noch immer sinnvoll und hilfreich ist. Das erleichtert neue Entscheidungen und räumt Hindernisse bei der Neuorientierung aus dem Weg. Im Folgenden gehe ich den Konsequenzen nach, die Macht in der Gesellschaft auslöst. Ich suche nach den Folgen der Machtanwendung beim Menschen und dem Niederschlag in den ökonomischen Systemen.
Vom Wesen der Macht
Wie konnte es dazu kommen, dass der Mensch unter Anwendung von Macht Möglichkeiten selektiert und bevorzugt angewendet hat, die zur Gefahr für die Menschheit selbst werden? In der Geschichte der Menschheit gibt es genug Beispiele von aufstrebenden Kulturen, die wieder untergegangen sind.[5] Ihre Bedeutung und Verbreitung war nicht so weltweit, wie die westliche, technische Kultur der heutigen Zeit. In ihrer Epoche und für die jeweilige Gesellschaft ist der Untergang und das Leid unerträglich, präsent und schrecklich. Das gilt in gleicher Weise für große Reiche, wie für kleine Gesellschaften mit geringer Bevölkerungszahl. Für den einzelnen Menschen macht es kaum einen Unterschied, wie groß das Reich ist, das mit einer Kultur untergeht. Für den oder die Machthaber ist das ihre wichtigste Frage, denn Macht nimmt mit der Größe der Unterdrückung zu. Für den Machthaber kommt es vor allem darauf an, viel zu haben: viele Menschen, viele Schätze, viel Einfluss, viel Land, usw. Für den einzelnen Untergebenen hat es fast keine Bedeutung, wie viele andere Unterdrückte es noch gibt, wie viel Land der Herrscher kontrolliert oder wie groß sein Reichtum ist.
Der Untergang prägt die unmittelbare Umgebung seiner Erlebniswelt und relativ dazu ist die Bedeutung ferner Ereignisse entlang der Hierarchie für das individuelle Leben eines Untergebenen gering. Sein Leben wurde im Mittelalter von einem Gutsherrn geprägt und in einem engen Rahmen gehalten. Ob der Gutsherr wiederum unter einem Grafen oder Fürsten leidet, der von einem König regiert wird, ist fast unerheblich. Die Macht in der engen Umgebung der sozialen Struktur schränkt die Freiheitsgrade der Menschen ein oder vernichtet sie gar. Sie schürt die Angst im Leben und frisst die Liebe. Mit diesen Methoden setzt die Macht sich durch, obwohl sie die Welt zerstört und die Kulturen an ihr Ende führt. Synergie ist das natürliche Prinzip, aber es leidet unter der Macht, weil diese nicht nur ihre eigene Welt zerstört, sondern auch die umliegenden Synergien.
Untere machtlose Ebene
Ein Arbeiter hat Kollegen und einen vorgesetzten Meister. Seine Zufriedenheit und die tägliche Arbeit hängt von dem Arbeitsklima ab, das von einer überschaubaren Zahl der Kollegen geprägt wird und von dem Verhältnis zum Meister. Eine darüber hinaus gehende Hierarchie ist für den Arbeiter fast ohne Bedeutung für seine tägliche Zufriedenheit. Letztlich werden die Regeln vom Meister mit seinen Worten kommuniziert und es macht keinen Unterschied für den Arbeiter, ob der Meister die Regeln nur verkündet oder ob er sie selbst erfunden hat. Es macht auch keinen Unterschied für ihn, wie viele andere untergebene Arbeiter es noch gibt. Der Arbeiter ist nicht an der Anzahl der weiteren Arbeiter auf seiner Ebene interessiert, er hat keinen Vorteil von der großen Zahl von Arbeitern. Er ist auch nicht an der Zahl der Hierarchien über seinem vorgesetzten Meister interessiert. Sein Meister gibt ihm die Regeln und Vorgaben. Er setzt die Randbedingungen.
Macht hat Hierarchien.
Obere Hierarchien mit Macht
Anders verhält es sich bei den Mächtigen vom Meister in der Hierarchie aufwärts. Sie definieren sich ausschließlich über die Tatsache, dass Untergebene existieren und ihre Macht akzeptieren. Ohne Untergeordnete gäbe es keine Macht. Die Machthaber im Unternehmen brauchen Hierarchien, die ihre Anweisungen bis zum einzelnen Arbeiter durchsetzen und überwachen. Ihre Macht ist quantifiziert und sie nimmt mit der großen Zahl zu.
In der allgemeineren Formulierung dieser Zusammenhänge wird die Relevanz für Gesellschaft und Kultur deutlich: Auf jeder Ebene der Hierarchie in Machtgesellschaften wird der Freiheitsgrad eingeschränkt. Damit sind die Möglichkeiten in ihrem allgemeinen Verständnis über das Beispiel der Arbeit hinaus gemeint: die Möglichkeiten zu handeln, sich zu bewegen, seine Zeit einzuteilen, zu lernen, Freunde und Kollegen auszuwählen, sein Umfeld zu gestalten, zu leben. Auf der untersten gesellschaftlichen Ebene sind die Möglichkeiten (die Freiheitsgrade) extrem eng.
Stellt man sich gesellschaftliche Hierarchien wie Pyramiden vor, so sind auf der untersten Ebene viele Untergebene mit geringen Freiheitsgraden und an der Spitze wenige Machthaber mit hohen Freiheitsgraden. In der Horizontalen macht es für den Einzelnen keinen bemerkenswerten Unterschied, ob mit ihm 100, 10.000, 100 Tausend oder eine Million gleichgestellt sind. Seine Freiheitsgrade bleiben eng. In der Vertikalen wächst die Macht mit der Anzahl der Untergebenen. Diese Zahl ist entscheidend und sie definiert geradezu die Größe der Macht.
Macht schränkt Freiheitsgrade ein
Angst ist ein weiteres Beispiel aus der Reihe der Konsequenzen von Machtausübung, die sich gegen den Untergebenen richten. Der Machthaber kann Menschen nur in Angst versetzen, solange sie von ihm abhängig sind. Angst bringt die Menschen in Abhängigkeiten und Angst hält sie darin gefangen. Die Einschränkung der Freiheitsgrade wird erzwungen. Macht ist Zwang. Kann der Untergebene seine Freiheit wählen, dann wird er gehen oder kündigen. Der Machthaber hat dann keine Untergebenen mehr, der Unternehmer hat keine Arbeiter mehr, beide haben also ihre Macht verloren. Sie sind dann nicht mehr Herrscher oder Unternehmer. Das Ziel der Machtanwendung ist verfehlt. Angstfreie Menschen sind für Machthaber keine brauchbare Basis. Sie sind nicht kontrollierbar.
Ohne Angst keine Macht.
Die Macht über die Natur ist eine andere irrationale Ausprägung mit dem gleichen Ergebnis. Die intellektuellen Begründer unserer technisch geprägten Kultur haben die Anwendung von Zwängen zum Mittel der Naturwissenschaft gemacht.
In Laborversuchen werden die Freiheitsgrade der Natur so lange eingeschränkt, bis die Versuchsanordnung ein von der Natur isoliertes Ergebnis hervorbringt, das den Theorien der Forscher genügt. Es gibt keinen theorieunabhängigen Realitätsbegriff.[6]
Die Naturwissenschaft der Neuzeit ist Machtausübung. Die Teilgebiete der Natur werden so klein gewählt, dass man eine von Menschen ausgedachte Theorie hineinzwängen kann.
Die Ökonomie ist Machtausübung. Ihre Erkenntnisse sind nur anwendbar auf einen Kunstmenschen (homo oeconomicus) der keine Gefühle hat und tote Gegenstände herumträgt.
Die Mechanik ist Machtausübung. Sie konstruiert Maschinen, die nur in ganz eng begrenzten Randbedingungen funktionieren und mit Energie betrieben werden, die von einem Zustand in den anderen umgewandelt wird.
Die Natur ist außerhalb dieser technischen Kultur als ‚Umwelt‘ wegdefiniert. Sie ist der Restposten und die Ressource. Ihre Freiheitsgrade sind extrem eingeschränkt.
Natur ist keine Ressource, sondern die Grundlage.
Wenn die Natur ihre Freiheitsgrade wieder beansprucht, wird sie den Zwang abschütteln, den der Machthaber Mensch als eine unbedeutende Spezies innerhalb aller natürlichen Kreaturen über sie gestülpt hat. Kommt die Natur zurück, wird der Mensch als Täter lange leiden. Der Mensch kann keine Macht über die Natur ausüben, weil die Natur keine Angst hat.
Macht setzt eine Bewegung in Gang, die sich von ihrer Umgebung ernährt und mit diesem Zufluss an Energie wächst und sich ausdehnt. Als eine Folge der Machtentwicklung wachsen die bewegungsunfähigen, inflexiblen Strukturen mit geringen Freiheitsgraden und bilden eine Ordnung. Macht ist geradezu durch die Ordnung und Bewegungslosigkeit definiert. Über einen Stein kann ich leicht Macht ausüben, ebenso wie über ein Stück Erde, einen abgeschlagenen Baum, einen Klumpen Gold oder ein totes Tier. Macht hat nur eine Richtung: von dem kreativen Leben zur toten Struktur.
Mit dem Auswildern nimmt die Macht ab.
Einen Weg zurück gibt es nicht, ohne dass die Macht wieder abnimmt. Man kann einen Wolf oder ein Bienenvolk auswildern, dann nehmen jedoch die Macht und der Besitz über die Natur ab. Einen abgeschlagenen Baum kann ich nicht auf ein Stück Eisenerz stellen und erwarten, dass das kreative Leben ihn wieder aufnimmt. Wegen der Einbahnstraße von der Kreativität in die Struktur wird in einem Machtsystem alles groß. Es entstehen große Reiche, große Städte, große Unternehmen und Großtechnologien. Die Macht saugt die Kreativität aus der Natur und legt ihr Fesseln an.
Ordnung ist das Fundament der Macht.
Schrödinger hat dieses Bild in ähnlicher Weise gebraucht, als er das Leben aus der Sicht eines Physikers betrachtet hat. In seiner Vorstellung von der Welt nimmt das Leben die Negentropie aus der Umwelt auf. Er meint damit, dass lebende Organismen sich von der Unordnung der Natur ernähren und sie in die Ordnung des Lebens überführen.[7] In seinem Bild der Welt ist die Ordnung ein positives Prinzip ‚nach dem die Natur tatsächlich verfährt’. Seine Betrachtung der Natur erfindet eine Ordnung, die Natur nicht hat, weil sie die nicht braucht. Mit seiner Betrachtung und Analyse der tatsächlichen Vorgänge, holt er nur das wieder raus, was vorher reingesteckt wurde. Mit dem Leben hat das nichts zu tun.
Schrödinger ist dann doch zu sehr von der Physik geprägt, als das er sein Bild der Welt in schamanischer Weise aus Sicht der Natur malen könnte.[8]
You see what You are looking for.
Die Machthaber haben diese Physik der Ordnung und Regeln protegiert, weil sie der Macht die Argumente geliefert hat. Die Ordnung als Prinzip ist positiv besetzt worden und damit wurde eine ‚ordentliche‘ Naturwissenschaft etabliert, ein ordentlicher Staat, Recht und Ordnung, ordoliberale Politik, die ordnende Hand des Marktes, eine Kirchenordnung und Versuchsanordnungen. In den Versuchen wurden nur solche Anordnungen verwendet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Ordnung bestätigen würden. Kein Physiker würde eine Schaufel Sand hochwerfen und beschreiben, wo die Sandkörner gelandet sind. Es wurden nur solche Beobachtungen in die Ordnung eingereiht, die für ein Weltbild der Machthaber nützlich waren.
In einer naturbelassenen, schamanischen Betrachtung ist selbst die Richtung der Abhängigkeit offen und von der Natur nicht vorgegeben. Wird das Prinzip der Macht im Weltbild gefunden oder definiert die Macht ein Ordnungsprinzip, das in der Folge das Weltbild zeichnet?
Schaut man auf eine wirre Fläche mit Punkten, so kann eine unbekannte Kraft des Verstandes darin eine Regelmäßigkeit, eine Linie oder eine andere geometrische Figur erkennen.[9] Damit ist eine Ordnung gefunden, die vielleicht auch andere Wesen mit Verstand erkennen. Ordnung kann auch mit Macht hineinprojiziert werden, wie zum Beispiel die Fiktion einer quantifizierten Zeit und eines messbaren Raumes. Diese Ordnungen sind in dem wunderbaren Chaos der Natur nicht gefunden, sondern hineininterpretiert, so wie man in den wirren Punkten eine geometrische Figur oder eine Linie erkennt.
Wenn wir den Verstand einsetzen, dann wünschen wir uns eine Ordnung. Ordnung lässt sich kontrollieren und festlegen. Machthaber legen Grenzen und Ordnungen fest. Deshalb werden sie jede Wissenschaft begünstigen, die eine Ordnung liefert. ‚Ordnung ist das halbe Leben‘ ist eine glatte Lüge, denn Ordnung hat mit dem Leben (der zoë) gar nichts zu tun. Das Leben passt sich auf unterschiedliche Art den Möglichkeiten aus den Randbedingungen an. Aber es gibt nicht zwei gleiche Anpassungen, sondern allenfalls Ähnlichkeiten. Macht braucht gleiche Prozesse, die kontrollierbar sind.
Macht will Kontrolle.
Aus dem Wechsel von Ebbe und Flut kann eine Regelmäßigkeit interpretiert werden. Das war aber schon lange ein Bestandteil der Natur und der Wechsel begann nicht erst mit der Zeitzählung der Menschen. Lange bevor der Mensch als Beobachter den Vorhang vor seiner Bühne gehoben hat, fand das Schauspiel der Natur statt, ohne Zuschauer. Es gab keine gezählte Zeit, die außer dem Menschen der technischen Zivilisation niemand braucht. Nun sollte aber ein Maßstab her, der eine Relation zwischen den Ereignissen herstellt.
Mit nur wenig Phantasie fand sich ein Maßstab, der als plausible Erklärung für den Abstand zwischen den Ereignissen dient. Für die Zeiteinteilung hat man den Umlauf der Erde um die Sonne genommen, der sich in Beziehung zur Drehung der Erde um sich selbst setzen lässt und erhielt die Tage eines Jahres. Die werden zu immer kleineren Einheiten zerteilt (wie Nanosekunden) oder zu größeren zusammengefasst (wie Lichtjahre). Der Beginn der Überlegungen ist und bleibt allerdings willkürlich. Er ist die gefundene Linie in einer wirren Punktwolke.
Und weil die Ordnung willkürlich ist, kann sie mit Verstand gesetzt werden oder mit einem plausiblen Modell oder mit Glauben, oder mit Intuition, oder eben mit Macht. Im letzteren Fall legt die Ordnung der Machthaber fest and sagt: „Ich sehe eine Linie, das ist meine Ordnung. Du darfst diese Linie nicht übertreten.“ Im Fall der Naturwissenschaften haben die Philosophen und Künstler am Hofe des Machthabers eine Ordnung gefunden, in der Machtausübung möglich, gut und richtig war. Die Ordnung wurde durchgesetzt. Es war die Ordnung, in der das Machtgefühl die ordnende Kraft ist. Alles außerhalb dieser Ordnung, also jenseits der Linie, ist die Unordnung oder das Chaos. Unordnung ist schlecht und falsch in Machtstrukturen.
Ordnung wird durchgesetzt, nicht gefunden.
Ordnung und Kontrolle
Die westliche, technische Kultur ist angetreten die Natur zu beherrschen; offensichtlich gerät die Natur umso mehr außer Kontrolle, je mehr wir sie kontrollieren wollen.
Im ausgehenden Mittelalter hat der schwarze Tod die Menschen dahingerafft. Die Pest hat in Europa zwei Drittel der Bevölkerung ausgelöscht. Das war für die Gesellschaft dramatisch, weil Angst und Schrecken in den Alltag aller Menschen einzogen. Die Versterbenden und ihre Familien haben unsägliches Leid erlitten. Aber den Überlebenden fielen die Besitztümer zu, die herrenlos nach dem Tod ihrer Eigentümer frei wurden. Der freiwerdende Besitz spülte den Überlebenden einen Wohlstand zu, der die Schere zwischen den reichen und armen Schichten vergrößerte.
In der westlichen Welt ging die Angst um. Angst ist die Peitsche der Macht. Nicht nur die Pest verursachte die Angst, sondern sie wurde auch von der Kirche und der Obrigkeit, dem Adel und den Königen geschürt. Das Volk hat Todesangst und lebt unter der Furcht, denunziert und als Hexen oder Ketzer angeklagt, gefoltert und getötet zu werden. Die Inquisition verfolgte die Hexen und jede Art von Andersgläubigen, Kirchenkritikern und sozial unerwünschten Personen, die ausgespitzelt wurden. Die Hexenverfolgungen und Inquisitionen wurden oft in kleinen Territorien verübt. Jeder Machthaber nahm sich das Recht heraus, in seinem Gebiet selbst Gericht zu halten und Scheiterhaufen anzuzünden. Die Verfolgung von Abweichlern und Ketzern war eng mit der Kirche, den Kirchenorganisationen und dem Christentum schlechthin verbunden.
Grausamere Anwendungen des Machtprinzips sind schwer vorstellbar. Die Macht definiert sich darin, dass die Freiheitsgrade der Untergebenen eingeschränkt werden, dass ‚Wahrheiten‘ definiert werden und dass die jeweiligen Parteien sich nicht vertrauen. Sie nehmen an, der andere lügt und verbirgt Geheimnisse. Der Verdächtige wird vom Machthaber gefoltert, bis aus ihm die Geheimnisse herausgepresst werden können. Irgendwo verbirgt sich das, was bereits in den schlimmsten Befürchtungen vermutet wurde. Eine Machtkultur lügt und verachtet das Leben. Der Betrüger ergattert Vorteile und verteidigt sie anschließend. Die Strukturen müssen verteidigt und erhalten bleiben, denn werden sie geteilt, wird die Macht und der Besitz geringer. Kreativität ist für den Machthaber gefährlich, denn sie ist nicht kontrollierbar. Chaos ist eine Gefahr und damit ist die Natur gefährlich, wenn sie nicht kontrolliert wird. Sie muss ebenso eingeschränkt werden, wie die Freiheitsgrade der Untergebenen.
Die Machtkultur lügt.
Die Natur übt keine Macht aus, sie lügt nicht und sie beschützt ihr Leben. Die Natur teilt ihre Stärke. In solchen positiven Rahmenbedingungen wachsen das Vertrauen und die Sicherheit, Angst hat keinen Raum. Die Natur ist das Chaos, sie ist pure Kreativität.
Das 17. Jahrhundert war für das Volk die Hölle, während sich bei Hofe die Obrigkeit vergnügte und immer neue Machtspiele trieb. Sie heirateten in Besitztümer ein, aber brachten sich gegenseitig um, zogen in den Krieg, meuchelten ihre Verwandten und knechteten das Volk in der Leibeigenschaft. Das Prinzip der Macht geht weiter zurück in die Vergangenheit, aber hier soll es wegen der Bedeutung für die Gesellschaft erst ab der Renaissance betrachtet werden. England verbreiterte und vermehrte seine Macht ganz erheblich und auf dem Höhepunkt hatte es sich und seine Ethik auf ein Viertel der im 17. Jahrhundert bekannten Welt ausgedehnt. England hat die Macht über die Welt gebracht, aber damit unmittelbar zusammenhängend auch das Leid und Elend.
Macht zu erweitern war eine anerkannte Ethik. Macht war anziehend, denn Macht gewährte Privilegien und Freiheiten. Der Machthaber hielt Hof mit seinen Günstlingen, die ihn in seinem Bild der Welt bestärkten. Er belohnte seine Günstlinge und protegierte sie. Der Absolutismus ließ keinen Zweifel am Herrscher zu.
Kultur der Macht
Die Höflinge und Untergebenen taten es ihrem Vorbild nach und so durchzog das Machtstreben die Gesellschaft bis zu ihren Wurzeln. Das hat sich so etabliert, dass wir es für selbstverständlich halten und andere Gesellschaften mit naturnahen Werten kaum noch vorstellbar sind. Das sind die bedauernswerten Naturvölker, die missioniert werden müssen und denen man mit der Macht helfen kann. Tatsächlich brachte die Macht überall nur Leid, Leid für die Naturvölker und die eroberten Kulturen, für die Bauern und Leibeigenen, für die Kriegsteilnehmer, für die Besiegten, für die Hexen und Herätiker. Macht geht untrennbar mit Einschränkung der Freiheit und Leid einher.
Leid ist der Weggefährte der Macht.
Das 17. Jahrhundert legte den Grundstein für die Wissenschaft der westlichen, technischen Welt. Mit Kepler, Isaac Newton, Galilei und anderen Wissenschaftlern wurde die Mechanik zum wesentlichen Inhalt des naturwissenschaftlichen Weltbildes. Deshalb sind die Randbedingungen wichtig, die zu erklären helfen, warum diese Erkenntnisse sich als Grundlagenwissen bis heute erhalten haben. In der Renaissance setzte sich die wissenschaftliche Vorgehensweise der Empirie durch, weil sie am Hofe in England anerkannt war. König Karl II wurde zum Schirmherr der Royal Society [10], einem Männerclub von Wissenschaftlern, die ihre Lehren und Erkenntnisse nach empirischen Forschungen finden wollten. Die Royal Society hat sich formiert, um der empirischen Forschung eine Diskussionsbasis zu schaffen und um mit ihrem Wirken den Wohlstand und die Macht des Königs zu mehren - wie der Name ‚Royal Society’ bereits suggeriert. Die ‚Naturphilosophen‘ der ‚Gesellschaft zur Verbesserung des Wissens um die Natur‘ folgten der Wissenschaftstheorie und den Empfehlungen des Francis Bacon, der in dem Novum Organum Scientarium seine Metaphysik sehr ausführlich als Kanon der neuzeitlichen Forschung dargestellt hat.
Die Schirmherrschaft des Königs Charles II wurde gewählt, um sich bei ihm einzuschmeicheln. Einerseits wollte man zu dieser Zeit die Macht des Herrschers erhöhen und andererseits die Macht direkt oder indirekt dazu verwenden, die Möglichkeiten zu wählen, die dem Bild der Welt entsprachen. Das Bild der Welt war kulturell bestimmt und aus den historischen Entwicklungen der Philosophie abgeleitet. Es war das Bild der Macht, in dem der Mensch über die Natur herrscht. Die Machtphilosophie wurde in der Renaissance verstärkt.[11]
Die meisten Höflinge und Wissenschaftler verstanden sich als Zuträger für ihren Machthaber. Die Grundlagen der Naturwissenschaft in der heutigen Form wurden von kreativen Köpfen gelegt, die sich die Erkenntnisse experimentell erarbeitet haben. Das praktische Experiment war die von Bacon empfohlene Methode, mit der die Natur befragt und gezwungen werden sollte, ihre Geheimnisse preiszugeben.
Vor allem in den ersten Jahrzehnten wurden Versuche an der Natur aufgebaut und lebende Tiere seziert. Mit den Beobachtungen daraus sollte die Funktion der Körper und des Lebens erklärt werden. Diese Vorgehensweise war reine Machtanwendung gegenüber der ‚unterlegenen Natur‘, deren Beherrscher der Mensch sein sollte. Das war die Erkenntnis und das Weltbild der Philosophen, die den Rahmen für die Wissenschaft, die Physik und Chemie gelegt haben.
Wir finden in diesen Randbedingungen den Grundstein für die Machtanwendung als einen Baustein der Ethik, die das Weltbild der Wissenschaftler geprägt hat und den Herrschenden den Weg bereitet hat. In England hatte die Philosophie der Macht ihren Ausgangspunkt. Henry VIII vereinte in England die größte Macht für das Königreich. In diese Zeit fielen die großen Katastrophen für die Menschen und das niedere Volk. Es war die Zeit der Pest und der Kriege (30-jähriger Krieg, 100-jähriger Krieg, Hugenottenkriege). Und es war auch die Zeit der beginnenden Eroberungen der Engländer, während der Rest Europas sich in kriegerischen Auseinandersetzungen aufrieb.
Höflinge für die Macht
Die Gesellschaft war in den Ständen relativ festgefügt. Der Stand der Adligen dominierte alle anderen. Seine Aufgabe war die Unterdrückung der Anderen, die Kriegsführung und die Verwaltung von Landbesitz, auf dem die Leibeigenen arbeiteten.
Die Besiedlung Amerikas begann im 16. Jahrhundert an der Ostküste und im heutigen Kanada. Sie setzte sich fast gleichzeitig in der Karibik fort. Unter der Königin Elisabeth I. (regierte von 1558 bis 1603) erreichte England als Weltmacht einen sehr großen territorialen Einfluss. Die Eroberungen auf der einen Seite waren von ständigen Kriegen begleitet, meistens mit den Spaniern, die ein ebenbürtiger Gegner zur See waren. Die Briten steigerten ihren Reichtum auch durch die Piraterie gegenüber den Spaniern, denen sie deren erbeutetes Gold und Edelsteine aus den spanischen Eroberungen wieder abjagten. In dieser Zeit waren Epidemien und Krankheiten der Bevölkerung und vor allem auch der Soldaten ein gewöhnlicher Teil der Wirklichkeit. Und während das Volk als Kanonenfutter und Leibeigene ihr Leben fristeten, brachten die Könige und Adligen sich in Intrigen und Machtspielen um.[12]
Unten im Volk wollte niemand sein, der die Gelegenheit sah, sich bei Hofe anzubiedern. Die Beflissenheit gegenüber den jeweiligen Herrschern macht auch vor der Kunst nicht halt. Der Bewerbungsbrief Leonardo da Vinci’s an den Herrscher von Mailand Ludovico Sforza liefert ein bekanntes Zeugnis aus der damaligen Zeit. Leonardo wird als kreativer Geist mit einer herausragenden Beobachtungsgabe gepriesen, der künstlerisch herausragende Bilder malen konnte, in denen er die Körper in Bewegung festhielt. Sein Talent war außergewöhnlich, seine Neugier grenzenlos und die Ergebnisse seiner Arbeit eröffneten der Malerei neue Dimensionen. Ein großer Anteil seiner begonnenen Werke wurde nie vollendet, weil der kreative Geist sich wieder von anderen Arbeiten ablenken ließ. Seine Malerei hat ihm aber nicht den Weg zum Hofe des Ludovico Sforza geebnet, sondern seine teilweise absurden Kriegsmaschinen und phantastischen technischen Gerätschaften.
Leonardo pries seine Fähigkeiten zur Entwicklung von Kriegsmaschinen und Verteidigungsanlagen großspurig an und bot dem ‚Erlauchten Gebieter‘ untertänigst seine Dienste an. In seinem 10-Punkte Katalog kamen die skurrilsten Maschinen vor, aber kein Wort von seiner kreativen Schaffenskraft in Malerei und Kunsthandwerk.[13] Alle Künstler wollten an einen Hof, um dort dem Herrscher bei der Ausrichtung von Gelagen und festlichen Aufführungen, Amüsements und Spielen, Umzügen und literarischen Belustigungen zu Diensten zu sein. Dort hatte das Leben Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten.
Aber sie wurden von Angst klein gehalten und regiert.
Die Macht ist nichts ohne Untergebene.
Das hat John Locke für den Machthaber (Oliver Cromwell) in seinen zwei Abhandlungen über den Staat geschrieben. Er ist als der Spiritus Rektor der Erkenntnistheorie in die Geschichte eingegangen. Er hat die rationalistische Philosophie des René Descartes aufgenommen und in die britische Version des Empirismus eingebaut. Von ihm stammt auch die Idee der tabula rasa des neugeborenen Kindes, die erst mit den Erfahrungen während des Lebens beschrieben und gefüllt wird. Diese Vorstellung verleiht den Eltern und Erziehern schon bei den Kindern die Macht, ihre Werte, ihre Ethik und ihren Willen in die kindliche Seele und den Verstand des Heranwachsenden einzupflanzen. Hier regiert im Kleinen die Macht wie im großen Staat.
Die Staatsmacht wuchs in der geschichtlichen Epoche der Frühen Neuzeit, in der durch den Buchdruck eine schnelle Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der physikalischen Interpretation der Welt möglich wurden. Die aus der mechanistischen Welt abgeleiteten Zusammenhänge in der Natur wurden kontrollierbar und die Macht des Herrschers konnte auf die Natur ausgedehnt werden. Europa expandierte auf andere Kontinente, die es mit Macht unterwarf. Das imperialistische Auftreten und die Ausrottung oder Ausbeutung anderer Völker wurde von dem Gedankengut der Renaissance und der Aufklärung begleitet. Die Macht bestätigte sich selbst, weil die unterdrückten Völker entweder Angst hatten oder umgebracht wurden. Die Sklaverei, die Leibeigenschaft oder die Frondienste waren unterschiedliche Begriffe für ähnliche Formen der Unterdrückung. Die Europäer haben mit dem Imperialismus keine neuen Machtverhältnisse erfunden. Die rückwärtsgewandte Betrachtung lässt uns annehmen, die Sklaverei wäre eine spezielle Erfindung für die neuen Gebiete in Amerika und der Karibik gewesen. Das war nicht der Fall. Die einheimische Bevölkerung war selbstbewusst und unabhängig. Sie eignete sich nicht für Frondienste, weil sie das Prinzip der Arbeit für Andere oder für Machthaber nicht angenommen hat.
Macht kann sich nur behaupten, wenn sie geduldet wird.
Da die Macht der Eroberer nicht geduldet wurde, haben die ‚Unternehmer‘ aus ihren Erfahrungen mit den Leibeigenen in Europa Menschen aus Afrika eingefangen und als Sklaven nach Amerika und in die Karibik verkauft. Sie haben die europäischen Strukturen der Unterdrückung in den neuen Gebieten ausgiebig praktiziert. Gewalt und Krieg wurden zu einem Werkzeug der Macht.
Wenn Macht auf eine natürliche Welt, auf eine Welt aus Synergie trifft, dann strebt das gesamte System in die Angst. Die Kolonisation hatte das klare Ziel die Macht der Besetzer zu vergrößern. Sie kannten das Prinzip des Machtaufbaus mit Hilfe der Angstverbreitung. Das war das Weltbild im ausgehenden Mittelalter.
Diese von den Besetzern eingeführte Macht war für die Völker in Synergie eine Randbedingung, in der sie ihre Möglichkeiten suchten. Die Entwicklung nahm von da ab einen fatalen Verlauf, weil Machtmenschen nicht die Zufriedenheit aller anstreben, sondern die Vergrößerung ihrer Macht. Und obwohl dies langfristig immer zu einem Kollaps führte, ist es kurzfristig erfolgreich im Sinne des Machthabers zur Erreichung seiner Ziele.[14]
Mit trickreichen Verhandlungen konnten die Eroberer des amerikanischen Kontinents ihre Interessen durchsetzen und ihre Macht ausbauen. Sie trafen auf Völker, die einen Ausgleich der Interessen suchten und die weißen Besetzer zunächst als Gäste willkommen hießen. Da es in ihrer Kultur und mit ihrer Ethik unmöglich war, die Mutter Erde zu besitzen oder gar zu verkaufen, waren die Verträge zu dem Landerwerb für sie unwirklich. In ähnlicher Weise war es für die Eroberer unwirklich, eine Verabredung mit dem Pfeifen-Ritual zu besiegeln. Am Ende sorgte die Anwendung von Angst und Schrecken für die Durchsetzung der Macht in den erschlichenen Territorien - ganz in Einklang mit der kirchlichen Doktrin und ihrem Vorbild. In Afrika ging dieser Prozess noch schneller vonstatten, als in der Neuen Welt. Wenige Menschen eines Stammes oder eines Landstriches wurden ermordet oder bestraft, um damit die anderen einzuschüchtern und ihnen zu verdeutlichen, dass sich nun die Randbedingungen für ihr Überleben geändert haben.
Diese Vorgehensweise braucht keine ausgeprägte Ethik oder Lebensbilder. Die westliche Kirche [15] zeigt, wie Angst zu Macht verhilft. Der Herrscher ist das Vorbild, die Erfolge werden mit den Zuwendungen der Gesellschaft belohnt und Bestrafungen durch die Unterdrückten sind nicht zu erwarten. Jeder Mensch ohne eigene Ethik der Menschlichkeit kann als Eroberer, Unterdrücker und Missionar erfolgreich sein. Das organisierte Verbrechen verfolgt das gleiche Prinzip der Einschüchterung zum Machtaufbau. Die Mafia und ähnliche Zusammenschlüsse verbreiten Angst und machen sich damit die Menschen in ihrem Einflussgebiet gefügig. Die Bildung des Herzens, Gefühle der Liebe und Fürsorge, naturnahe Ethik oder ein ganzheitliches Weltbild sind der Durchsetzung der Macht hinderlich und mit dem Machtprinzip sogar unvereinbar.
Kultur und Natur
Wie die Menschen wurde auch die Natur zu einem Spielball der Macht. Die Erde wurde umgegraben auf der Suche nach Bodenschätzen wie Gold, Kohlen, Erzen, usw. Für die Einheimischen und indigenen Kulturen war auch das unverständlich. Die Mutter Erde konnte keinem Menschen gehören, er war ihr untertan, denn ohne sie kann er nicht leben. Die Machtanwendung stellte das auf den Kopf. Die Erde sollte eingeschränkt werden durch eine kleine unbedeutende Spezies und sie sollte diesen Machthabern gehören. Dieser Kampf gegen die Natur ist nach der Anschauung der naturnahen Kulturen nicht zu gewinnen, weil er in weiten Teilen auch ein Kampf gegen den Menschen selbst als Teil und Kind der Natur ist.
Die abrahamitischen Religionen haben die Macht über die Natur flankiert, denn sie propagieren den allmächtigen Gott, der allwissend und allgegenwärtig ist. Von ihm haben sie die Legitimation, sich die Erde untertan zu machen. Diese Erlaubnis wirkt noch nach, selbst wenn der Gott in den Hintergrund gedrängt wird. Im Absolutismus tritt der Mensch an die Stelle des Allmächtigen und beansprucht die Macht für sich. Die Feudalherrschaft setzt das göttliche Machtprinzip in die praktische Herrschaft über das Volk um.
Die Macht und der Reichtum wurden verehrt, wie beim Tanz um das Goldene Kalb. Der reiche Machthaber wird erst dann zu einem Herrscher, wenn seine Abgrenzungen und sein Besitz akzeptiert werden. Der Frevel an den Menschen und ihrer natürlichen Freiheit wird geduldet. Die Akzeptanz der Grenzen macht sie erst unüberwindlich. Die Menschen pochen nicht auf ihre Freiheit und zerstören die künstlichen Grenzen. Nein, sie tanzen um den Machthaber und realisieren nicht, dass sie ihre Unfreiheit feiern. Der rächende Gott ist ein Gott der Machthaber und der Reichen.
Die Angst breitet sich aus, wenn der Rückhalt in der Natur fehlt. Dieser Rückhalt wird von der Kirche als Vertreter des mächtigen Gottes genommen. Mit der Mutter Erde im Rücken lässt sich jede Grenze niederreißen und jeder Machthaber stürzen. Zwischen Menschen und Natur hat sich aber die Religion platziert und schneidet den Menschen von der Stärke ab.
Das Goldene Kalb ist das Symbol der Macht.
Hinter dem Symbol kann ein heidnischer Gott stehen, oder ein Herrscher. Das Kalb kann den Despoten, den wirtschaftlichen Konzern, den Arbeitgeber oder die Mafia darstellen. Solange die Macht betanzt und nicht bekämpft wird, ist keine Freiheit möglich.
Die Entstehung der Staaten haben die Feudalherrschaften abgelöst. Das Machtprinzip ist geblieben, es wurde nur von Anderen ausgeübt. Napoleon hat im Namen des Volkes andere Staaten überfallen und wollte sie beherrschen und den Völkern den Segen der französischen Kultur aufzwingen. Bis in die Moderne nimmt die Gewalt kein Ende und die Kriege haben faktisch immer die Ausweitung der Macht über andere Völker und Territorien zum Inhalt.
Die Machthaber stützen die machtvolle Wirtschaft und schützen deren Besitz. Sie sanktionieren die Ausbeutung der Natur ohne Gegenleistung. Mit steigender Macht wird die Freiheit weiter reduziert. Die Kraft der Menschen kann als Arbeit gekauft werden. Inzwischen repräsentiert das Geld die Macht und der Machthaber wird an seinem Kapital erkennbar. Das Kapital vermehrt sich in dem Maße, wie die wilde Natur vermindert wird.
Die Wirtschaft zog die Macht an sich und es entstand eine Feudalökonomie.
Ohne die Untergebenen hat der Herrscher keine Macht – über wen auch? Ohne den Kunden hat das Unternehmen keine Marktmacht – über wen auch? Ohne die Arbeiter hat das Unternehmen keine Produktion und keine Wertschöpfung. Die Wertschöpfung ist eine Fiktion, denn ohne die kostenfreie Ausbeutung der Natur werden keine Werte geschaffen.
Die Macht steht im Zentrum der neuzeitlichen Kultur, sie hat die Freiheit aus der Stärke der Natur an den Rand gedrängt.
Die Macht nimmt Freiheitsgrade.
Den Leibeigenen und Sklaven hat sie unzweifelhaft die Freiheiten genommen. In der heutigen Zeit sind die Machtspiele subtiler. Das lässt sich in der modernen Ökonomie im Endstadium beobachten.
Indem die Arbeit gegen Geld erbracht wird, sind die Möglichkeiten eröffnet, das Ergebnis der Arbeit vom Produkt oder der Leistung zu lösen. Es erscheint uns und unseren Kindern selbstverständlich, dass der Mitarbeiter im Supermarkt kein fundiertes Wissen über die Produkte hat – weder woher sie kommen, noch welche Qualität sie haben, oder wie man sie anwendet. Der Mitarbeiter braucht das Know How gar nicht und der Kunde ist sein eigener Dienstleister. Er muss sich über die Produkte informieren, er stellt sie selbst zusammen und in manchen Märkten bedient er selbst die Kasse. Seine Freiheiten sind erheblich eingeschränkt, denn er erbringt die Arbeit ohne Vergütung.
Produkte werden eigenhändig vom Kunden produziert. Der Möbelhandel verkauft nur noch Bretter und Schrauben und der Kunde produziert den Schrank. Bankdienstleistungen erbringt der Kunde selbst in der Kontenkontrolle, dem Online-Banking, dem Wertpapierhandel, oder der Freigabe von Kreditkarten.
Bei alledem trägt der Kunde selbst noch die Verantwortung und leidet unter den Schäden, die funktionslose oder fehlerhafte Einrichtungen und Angebote der ökonomischen Feudalherren bei ihm verursachen. Wenn Busse, Bahnen, Flugzeuge verspätet sind, hat der Kunde zu warten und er zahlt für die schlechte Leistung trotzdem den gleichen Preis wie für eine gute Leistung. Ein alter Joghurt hat den gleichen Preis wie ein neuer. Ein schlechter Arzt rechnet die gleichen Gebühren ab, wie ein guter. Die Wartezeit auf Ämtern, bei Werkstätten, an Flughäfen oder in Vergnügungsparks wird nicht vergütet. Die Leistung kostet mit und ohne Wartezeit dasselbe. Hier wird ganz augenfällig die Macht dazu verwendet, die Freiheiten der Kunden zu beschneiden.
Die Qualität geht weder in volkswirtschaftliche Rechnungen noch in die Beurteilung der Wirtschaftsleistung ein. Die Wertschöpfung erhöht sich, wenn das gleiche Produkt oder die gleiche Leistung mit weniger oder qualitativ schlechterem Input erbracht wird. Die Ökonomie wird von den Machthabern diktiert – eben wie eine Feudalökonomie. Es geht den Machthabern nur um das Einschränken, das Wegnehmen, das Beherrschen. In dem System der Macht wird keine Stärke geteilt.
Die andere Sicht auf eine gemeinsame Stärke lernen wir in der schamanischen Arbeit. Sie stärkt die Teilnehmer an dieser Synergie, weil sie ihre Freiheitsgrade erhöht. Wir schwimmen gemeinsam in dem natürlichen See der Stärke. Dieser See ohne Grenzen wird vom Leben bereitgestellt. In ihm können keine Grenzen gezogen werden. Deshalb gibt er an Alle Wesen die Sicherheit und Geborgenheit.
Stärke ist wie die Liebe
Stärke in der Natur
Die Position des Schamanischen
Der Starke ist gemeinsam stark und wird stärker, wenn er die Stärke teilt. Will er aber mächtig sein und Macht ausüben, die nur mit Verlust teilbar ist, dann ist er allein am mächtigsten. Macht hat ein Zentrum und Macht wächst mit der Zahl derer, die diese Macht akzeptieren.
Diese Betrachtungen wurden das Fundament des westlichen Weltbildes, der Ethik und der gesamten Interpretation der Natur und aller Ereignisse und Beobachtungen in der Welt. Ihr Einfluss auf die Wissenschaft, die Physik, die Biologie und jede Darstellung der Welt mit menschlichen Worten wurde im Feudalsystem der Engländer gelegt. „Nam et ipsa scientia potestas est.“ Denn die Wissenschaft selbst ist Macht.[16] Die Macht als Herrschaftsprinzip wurde von den Philosophen der englischen Gesellschaft verteidigt und mit einem ideologischen Unterbau versehen. Dieser Effekt verstärkte sich selbst, denn die damaligen Philosophen haben teilweise die Argumente geliefert, die dem englischen König zur Sanktionierung der Macht gefehlt haben.
Für den Herrscher wurde das Postulat argumentiert, dass die größte Macht mit der größten Zahl unterdrückter Menschen entsteht. Derjenige hat mehr Macht, der viele Menschen seinem Willen unterwirft.[17] Die Unterwerfung schränkt die Freiheit der Vielen ein. Das Postulat wäre wirkungslos, wenn es nicht akzeptiert wird. Macht wird zu Macht, wenn sie anerkannt wird. Sie wird aus Angst geduldet.
Geteilte Macht ist halbe Macht.
Stärke ist wie die Liebe unendlich. Stärke ist ein kollektives Phänomen, ein Charakteristikum des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Alle können daran teilhaben, ohne dass sie sich vermindert. Die Geborgenheit in der Natur steht jedem offen.
Der Machthaber ist nichts ist ohne diejenigen, über die er Macht ausübt. Ein König kann nur König sein, wenn er Untertanen hat, ein Sklaventreiber kann nur Sklaventreiber sein, wenn er Sklaven hat, ein Riese kann nur groß sein, wenn es kleinere gibt. Macht ist endlich und relativ.
Stärke wird gemeinsam erlebt. Die Stärkebeziehung muss nicht akzeptiert oder geduldet werden. Wer an der Stärke nicht teilhaben will, scheidet aus dem Beziehungsgeflecht aus. Das ist ohne Einschränkungen oder Einfluss auf die Stärke in einer Gruppe.
Stärke wird in Synergie erlebt.
Das Leben in Synergie ist das Leben in der Natur. In der Synergie wächst das Vertrauen auf die Geborgenheit und Stärke, die Natur uns spendet.[18] Dieses Vertrauen wird von der Natur mit Wohlergehen und Zufriedenheit belohnt und es erfordert nichts mehr, als sich an die Randbedingungen anzupassen, die das Wesen jeweils vorfindet. In Synergie werden keine Randbedingungen für andere Wesen erzeugt, die Angst hervorrufen.
In Synergie mit der Natur werden die eigenen Rahmenbedingungen erzeugt, und wir bezeichnen das als Kybernetik, holistische Systeme oder Autopoiesis. Die Suche nach Kausalitäten bleibt sinnlos und vergeblich. Trotzdem suchen Wissenschaftler und Philosophen in der quantifizierten, materialistischen Schau auf das Leben die Ursachen und Wirkungen. Das ist aus dem Hintergrund einer abrahamitischen Weltanschauung erklärlich, nach der die Welt konstruiert ist und der Mensch in der Lage ist, sie zu erkennen und zu verstehen.
In der synergetischen Welt braucht es keine Erklärung der Ursachen, weil sie sich der intellektuellen Wahrnehmung entziehen. Das Leben (zoè) braucht keinen Intellekt. Die Stärke in Geborgenheit ist ein Gefühl und Gefühle haben alle Wesen. Bereits die Wahrnehmung der Randbedingungen mit allen Sinnen, einschließlich der spirituellen, reicht aus, die Möglichkeiten des Handelns zu ergreifen. In der Rückschau sieht das aus wie eine zielgerichtete Entwicklung, aber es ist eine Intention ohne Teleologie.[19]
Macht und Stärke sind nur im gesellschaftlichen Kontext erklärbar, denn es braucht die Untergebenen oder Wehrlosen, über die Macht ausgeübt werden kann. Logischerweise muss der Machthaber separiert sein, sonst würde er die Angst seiner Untergebenen und die Schmerzen der Natur selbst spüren. Die Spaltung ermöglicht erst die Machtanwendung. Es braucht Subjekte und Objekte, andernfalls ist der Machthaber nicht definiert. Der Spaltung haftet der Bezug auf die Ganzheitlichkeit an – warum sollte man sonst von Spaltung sprechen.
Das Ursprüngliche ist die Ganzheit und in der Ganzheit ist die Synergie. In der Ganzheit ist die Stärke, in der sich alle Wesen und alle Entitäten wiederfinden. Sie schwimmen in der gemeinsamen Stärke wie im Quantensee des Paul Dirac. Sie schwimmen im Leben (zoè) gemeinsam mit der Natur. Insofern ist die Natur keine Umwelt, sondern die gemeinsame Basis der Stärke und Geborgenheit.
Im See der Stärke ist die Freiheit spürbar.
Der Mensch kann sich eine Welt als sein Objekt definieren oder erfinden, in der die Macht über die Natur oder andere Wesen zur Grundlage seines Weltbildes erhoben wird. Das ist das Vermächtnis seines Verstandes, der ihn aus dem Paradies ausgeschlossen hat und ihm sein Selbstbewusstsein gegeben hat, mit dem er nun sein eigener Beobachter wird.
Bei der Betrachtung des individuellen Menschen ersetzt die ‚Liebe und Angst‘ die Kategorien von ‚Stärke und Macht‘. Stärke ist ein Potenzial, aus dem alle Wesen schöpfen – auch die Menschen. Sie ermöglicht das Leben (bio e’a) und ist in dem gleichen Sinne unendlich wie die Liebe. Wie die Liebe braucht die gemeinsame Stärke das Vertrauen in die Natur oder die Spirits, die die Anbindung unterstützen. Das Vertrauen lässt die Umsetzung der Synergie zu, denn es stärkt die Bindungen zu der Geborgenheit. Die gemeinsame Liebe führt wie die gemeinsame Stärke für alle zu einer Verbesserung ihres Lebens (bios) in Freiheit.
Die Liebe verdrängt die Angst, wie die Stärke die Macht verdrängt.
Der Mächtige ist schwach. Der Starke ist stark.
Epilog
Macht schränkt die Freiheitsgrade der Machtlosen ein. Das sind Menschen, Theorien, Flächen, Natur und andere quantifizierbare Entitäten. Alle Ramsdera können der Macht unterworfen werden. Angst ist die Peitsche der Macht. Der Mächtige hält seine Quantitäten zusammen, er ist selbst voll Angst, seine Macht zu verlieren und sei es nur einen Teil. Die Idee des Teilens setzt das Konzept der Teilbarkeit, der Atomistik voraus. Dem steht logischerweise etwas Ganzes gegenüber. Macht kann viel Leid über die Menschen und die Natur bringen.
Die Feudalherrscher, die Stifter der abrahamischen Religionen, Despoten und Diktatoren zeigen das ebenso wie Machthaber in der Gesellschaft und in der Ökonomie. Sie nehmen etwas und die ehemaligen Inhaber verlieren es.
Die teilbare Welt hat deshalb die Fiktion der Macht erst ermöglicht. Etwas nicht teilen zu wollen, setzt die Kenntnis und die Annahme einer teilbaren Welt voraus. Diese Weltanschauung geht auf die griechische Philosophie der Stoiker zurück, die in den kleinsten Einheiten das Beständige der Welt sehen wollten.
Unendliches hingegen kann geteilt werden ohne dass etwas verloren geht. Qualitäten und Gefühle werden verschenkt oder gemeinsam genutzt. Die Galiora sind vermehrbar – wir können sie geben, ohne zu verlieren.
Teilen und Verschenken sind zu einfache Begriffe für die Einladung zur Synergie. Im Paradies werden die Gefühle geteilt, denn mit ihnen können alle Wesen kommunizieren. ‚Teilen‘ in einem metaphorischen Sinne ist schwimmen in einem gemeinsamen See. Die Gefühle haben keinen Inhaber, weil sie allen zur Verfügung stehen. Jeder kann jeden einladen, gemeinsam im See der Liebe oder der Geborgenheit zu schwimmen. Die Natur lädt das Leben immer und ewig ein.
Stärke ist in der Natur – Macht ist in der Kultur.
[1] Paul Dirac hat von einem Quantensee gesprochen, aus dem die materiellen Quanten entstammen. Er meinte sicher nicht einen endlichen See. Sein Bild ist eher mit dem Soolago vergleichbar das alle Möglichkeiten bereithält. Sei es drum. Diese Art von gemeinsamer See der Stärke ist das Bild hinter dem ‚Teilen‘ aus einer gemeinsamen Ressource.
[2] Der Mensch ist das einzige Wesen, das Fragen stellt und damit auch das einzige Wesen, das sich auf Fragen Antworten ausdenkt.
[3] Carolyn Merchand, Der Tod der Natur, 2. Auflage, München 1994. Sie verfolgt die Idee der Ordnung und der Macht bis zum Beginn der Neuzeit im 17. Jahrhundert und identifiziert diese beiden Konzepte als wesentlich für die Entfremdung von der Natur: „Sowohl Ordnung als auch Macht sind integrale Bestandteile der mechanistischen Naturauffassung.“ Ebd. S.240
[4] Ecocide, ist abgeleitet von Suicide und bezeichnet den Selbstmord durch Zerstörung unserer eigenen Rahmenbedingungen.
[5] Beispiele aus dem Buch Kollaps; Warum Gesellschaften überleben oder untergehen; Jared Diamond, Frankfurt 2006: Die Osterinseln, die Maya, die Wikinger, die Anasazi und weitere Beispiele, die gewisse Gemeinsamkeiten aufwiesen. Eine Gemeinsamkeit ist die Ausbeutung der Natur und der Ressourcen, die ihr Lebensstil verbrauchte. Sie gingen an der mangelnden Flexibilität zugrunde, die nötig gewesen wäre, ihre Gesellschaft und ihre Kultur an die Veränderungen der Rahmenbedingungen anzupasssen.
[6] Stephen Hawking in dem Kapitel zu ‚Physik im Weltbild‘; St. Hawking, L-Mlodinow: Der große Entwurf, Eine neue Erklärung des Universums, Hamburg, 6. Auflage 2018; S. 42
[7] E. Schrödinger, Was ist Leben? 6. Auflage, München 2003, S. 128 ff. Hier schreibt er explizit von der Ordnung rund um den lebenden Organismus, die zur Ernährung dient. Schrödinger ist Physiker und in diesem Bild hat er ein ambivalentes Verständnis von Ordnung oder er wirft die Begriffe durcheinander.
[8] Am Ende seiner Betrachtungen verneint er ein ‚überphysikalisches Gesetz‘ und weist auf die partiellen Gemeinsamkeiten zwischen dem Uhrwerk und dem Organismus hin. (ebd. S. 139 ff)
[9] A. Friedmann hat in seinem Buch über die Welt als Raum und Zeit die Geometrie als den Beginn jeder physikalischen Ordnung postuliert. Die Welt als Raum und Zeit, 3. Bearbeitete Auflage, Frankfurt 2006. Zitat aus dem Vorwort von Georg Singer: „Alle Eigenschaften der Materie ... ergeben sich aus den geometrischen Eigenschaften der Welt. Es gibt nichts außer den geometrischen Eigenschaften der Welt.“
[10] Karl II hat sich durch kein Engagement oder eine erkennbare Fähigkeit für den Club der Wissenschaftler angeboten. Sein Hauptinteresse galt vermutlich seinen 15 -20 Mätressen und etwa 350 illegitimen Kindern. Die meiste Zeit war er ohnehin im Exil und kehrte erst 1660 nach England zurück.
[11] Ob die Philosophie auch in der Renaissance entstanden ist, ist an dieser Stelle sekundär. Das können Wissenschaftshistoriker untersuchen.
[12] Beispiele aus der Geschichte in England: Anne Boleyn, Elisabeths Mutter, enthauptet 1536; Thomas Seymour, Geliebter, enthauptet 1549; Thomas Wyatt, Rebell zugunsten Elisabeths, enthauptet 1554; Maria Stuart, Königin von Schottland, enthauptet 1587; Thomas Howard, Herzog von Norfolk, hingerichtet 1572 (wie sein Vater); Charles I., Vater von Charles II, enthauptet 1649
[13] Ein Beispiel aus seinem Bewerbungsschreiben ist der Pkt. 2: Ich kann bei der Belagerung eines Platzes das Wasser aus den Gräben ableiten und zahlreiche Brücken, Rammböcke, Sturmleitern und andere zu solchen Unternehmen gehörenden Geräte bauen. Zitiert nach W. Isaacson, Leonardo da Vinci, Die Biografie, Berlin 2018, S. 140.
[14] Jared Diamond; Kollaps, Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt 2006
[15] Die westliche Kirche wird hier zitiert, weil sie sich in der Kolonialzeit, im Mittelalter und im Altertum auf die Seite der Machthaber gestellt hat. In ähnlicher Weise gilt das auch für andere Kirchen oder Organisationen, die Angst als Mittel zur Festigung und Stärkung ihrer Macht einsetzen.
[16] Francis Bacon, 1597
[17] Hobbes, Leviathan, S. 66
[18] Natur ist hier im weiten Sinne verstanden als die Lebensumgebung, die „Erde“ oder „Spirit“ oder „Kosmos“ genannt werden kann.
[19] Thomas Nagel, Geist und Kosmos, Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Berlin 2013, S. 136. Er erklärt die Teleologie ohne Intention.