Menschen

 

Leben und Menschen

Wir kommen von einer schamanischen Sicht auf das Leben und die Natur. Wir erkennen das Leben als ein untrennbares Ganzes von Leib und Seele oder von Körper und Geist an. Wir betrachten die Natur als ein Ergebnis des Lebensprinzips, das Materie aus vergangenem Leben als eine Basis für das beseelte Leben erschaffen hat. Der Mensch ist eines von vielen Wesen, auf die das Lebensprinzip anwendbar ist. Aus einer schamanischen Sicht steht der Menschen nicht im Mittelpunkt oder gar an der Spitze aller Wesen, er ist nicht der Mittelpunkt der Natur und nicht der vorläufige Höhepunkt der Entwicklung des Lebens. Das schamanische Bild ist nicht anthropozentrisch.

Die bisherige negative Abgrenzung der schamanischen Sicht auf den Menschen hinterlässt kein positives Gefühl. Daraus lässt sich nicht ableiten, was der Kern der schamanischen Sicht auf den Menschen ist. In unserer Sprache ist eine positive Besetzung der Einheit von Leib und Seele und der Integration in die Natur nicht auffindbar. Es gibt Hilfskonstruktionen, mit denen der Mensch als ein ‚nichttierisches Wesen‘ bezeichnet wird oder die Einheit als ein ‚ganzheitliches Bild des Menschen‘. Das lässt nach wie vor die Möglichkeiten offen, den Menschen aus der Natur zu heben und sein mögliches Befinden als heil und vollständig zu definieren, selbst wenn die Natur um ihn herum erschöpft und ausgelaugt ist.

Eine nicht anthropozentrische Sichtweise wendet sich gleichzeitig gegen die christliche Interpretation der Schöpfungsgeschichte. In der Geschichte wird der Mensch als Abbild Gottes geschaffen und die Welt sei ihm untertan. Er solle den Garten Eden ‚bebauen und bewahren‘. Daraus leiten christliche Mystiker den Herrschaftsanspruch des Menschen her. Die Verantwortung eines Herrschers geht aber nicht mit der Nutznießung einher. In der Machtgesellschaft trägt der Herrscher keine Verantwortung. Er sammelt die positiven Ergebnisse seiner Untertanen ein und belässt die Arbeit, die Qualen, den Müll und das Leid auf den untersten Ebenen des Volkes.

Die Menschen in der technisch materiellen Kultur haben sich so weit von der Natur entfernt, dass die Ergebnisse und Konsequenzen ihrer Herrschaft nicht mehr verantwortet werden müssen. Aus einer schamanischen Sicht leiten sich Zweifel ab, ob der Mensch zu einer Folgenabschätzung überhaupt befähigt ist, ob er also tatsächlich die Konsequenzen seines Handelns in der komplexen und vernetzten Natur erkennen kann.

Eine Kritik der Religion gehört nicht zur schamanischen Anschauung. Ihre Grundlage ist das Leben in seiner allgemeinsten Ausprägung als der Geist, der eine materielle Gestalt beseelt. Sie ist das Bewusstsein, das die Existenzen miteinander teilen und von dort blickt der Schamane auf die Natur, die zugleich die Basis und das Ergebnis des Lebens ist. Mit dem Bewusstsein in der Natur steht er noch vor jeder Gesellschaft oder gar ihrer religiösen Betrachtungen. Die Natur existiert ohne Religion und der Mensch im Übrigen auch. Religionen kommen aus dem Nichts und sie sind von spirituell geleiteten Personen ins Leben gerufen worden. In der christlichen Religion wurde die Liebe zur Grundlage des geordneten Zusammenlebens. Dieses Gefühl aus der Unendlichkeit wurde in das menschliche Dasein getragen.

Schamanen richten ihre Aufmerksamkeit auf diese Ebene und lassen den Zustand ihres Bewusstseins in dieser Synergie der natürlichen Qualitäten. Das Bewusstsein kommuniziert dort auch mit nicht-humanen Wesen, es geht auf Reisen. Jedes andere Wesen, jedes andere Leben ist ebenfalls Synergie – wenn auch in anderer Zusammensetzung von Gefühl und Verstand. Mit dem erweiterten Bewusstsein reist der Schamane in den tieferen Schichten des Lebens, aus denen als eine Möglichkeit der Mensch entsteht. Die Spezies Mensch ist nicht wertvoller oder entwickelter als jedes Wesen. Sie ist anders. Die in der materialistischen Welt von der Physik definierte Begrenzung des Lebens auf Materie schränkt die Natur auf ein minimales Spektrum ein. Wenn nur Materie oder Masse betrachtet wird, reduziert das den Stellenwert des Menschen bis zur Bedeutungslosigkeit. Die Masse des Menschen lässt sich in Relation zur Natur der Erde vernachlässigen.

Liebe der Erde

Leben ist auf der Erde im Wasser und auf festem Grund. Die Erde nährt auch einfaches Leben in mehreren Kilometern Tiefe in ihrem Körper. Im steinigen Untergrund lebt 400mal mehr Biomasse, als alle Menschen auf die Waage bringen.

Wir kennen das Wasser als Lebensraum, es macht von der Masse der Erde nur 0,004 % aus. Die Wassermenge an der Oberfläche sind 1,4 Mrd. Kubikkilometer.

Stell dir vor, wie wenig von diesem Wasser im Bodensee ist = 48 Kubikkilometer. Das sind von allem Wasser nur 0,000003 %.

Auf den Grund des Bodensees passt die gesamte Biomasse aller 7,8 Mrd. Menschen der Welt. Meinst Du die Erde hat uns Menschen schon bemerkt?

Wie ist es den anderen Lebewesen ergangen? 99,9 % aller Arten, die jemals gelebt haben, sind ausgestorben.

Lasst uns die Erde lieben und zum Fest der Liebe der Mutter Erde für Ihre Liebe danken.

Mein Herz ist mit Deiner Liebe gefüllt. Ich spüre Deinen Herzschlag, mit dem Du die Kraft teilst, die ich für mein Leben brauche. Alles um mich herum ist ebenfalls von Dir geboren, alles atmet Dich und wird von Dir ernährt. Du hältst alles in Deiner Liebe. Wir sind Dein Wasser. Du heilst uns mit Deiner Stärke und den Pflanzen des Lebens.

Die Liebe umfließt uns wie die Luft den Vogel und das Wasser den Fisch. Deine Sprachen sind die Gefühle und als unsere Mutter teilst Du sie mit uns. Ich fühle Deine Gefühle.

Du hältst den Raum, in dem ich leben kann und gibst dem Leben die Möglichkeiten. Du umsorgst mich mit Allem was ich brauche. Du bist das Leben aller Leben. Du bist ich.

Der Mensch ist eine Synergie von
Gefühl und Verstand, von Körper und Seele.

Wenn wir versuchen den Menschen mit der Logik und den Verfahren der Physik zu verstehen, müssen wir leider erkennen, dass die Naturwissenschaft bei der Abbildung und Erklärung des Lebens in ihrem Bild der Welt versagt.

Der Mensch in seiner Synergie aus Gefühl und Verstand ist der schamanischen Sicht und Empfindung zugänglich, die Physik mit ihrer Reduktion auf Materie und die darauf bezogenen Gesetze hat für das Leben keine Erklärungen parat. Die menschliche Spezies ist einer von sehr vielen Sonderfällen des Lebens. Die Geschichte des Lebens ist eine Geschichte der Anpassungen. Die Regelkreise haben die Erde während der Geschichte des Lebens relativ stabil gehalten. Die Frühzeit der Erde hat vermeintliche Katastrophen erlebt, ohne die aber die heutigen Rahmenbedingungen zur Entstehung dieses Lebens nicht eingetreten wären.

Der Mond wurde der Erde entrissen und stabilisiert durch seine Schwerkraft die Rotation der Erde. Die Drehachse hat sich verschoben und ist für die jahreszeitlichen Schwankungen verantwortlich. Die Plattentektonik ermöglichte die Artenvielfalt durch das Auseinanderziehen der Landmasse in weit entfernte Regionen mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Neben diesen Veränderungen braucht Leben aber Stabilität und einigermaßen konstante Strukturen. Das ist seit der Entstehung des Lebens tatsächlich gegeben. Die Temperatur schwankt nur um wenige Grad im Mittel, das Magnetfeld ist stabil, die Ozonschicht ist beständig. So haben sich Tiere und Pflanzen in komplexere Strukturen entwickeln können, die dem spirituellen Strom einen Halt geben, um die Synergie aus Materie und Geist oder aus Körper und Seele in die Natur zu tragen. Alle Wesen und vor allem Menschen brauchen noch weiter eingeschränkte und stabile Rahmenbedingungen zum Überleben. Sie brauchen ein spezielles Nahrungsangebot und soziale Kontakte. Sie passen sich an Veränderungen im Ökosystem an, wenn es in der Bandbreite bleibt, die menschliches Leben ermöglicht.

Menschen sind angepasste Tiere.

Die Anpassungen wurden durch zwei wesentliche biologische Errungenschaften gefördert: das Gehirn als Organ zur Koordination des Raum- und Zeitgefühls und die Sprache zur Kommunikation der Gefühle und des Bewusstseins. In diesen engen Rahmenbedingungen des Lebens haben sich Menschen entwickelt und Gemeinschaften geformt, die das Überleben gesichert haben. Für eine schamanische Betrachtung des Menschen im Leben ist die Kultur zunächst sekundär. Der Mensch, seine Seele und seine Psyche sind von der Gesellschaft unabhängig. Jeder Mensch ist auf dieser Welt, um zufrieden und glücklich zu sein, das ist seine Mission. Mit dem Glück im Leben bedankt die Mutter Erde sich dafür, dass der Mensch im Konzert der Natur mitspielt und seinen Teil zum Bestand der Erde beiträgt. Diese Gunst teilt der Mensch mit jedem anderen Wesen.

Die Kultur ist ein Ergebnis der menschlichen Ethik, die sich mit dem Werdegang der menschlichen Gesellschaften ändert. Eine Entwicklung ist hier nicht zu beobachten. Die Ethik ist manchmal näher an der Natur orientiert und manchmal weiter von den natürlichen Grundlagen des Lebens entfernt. Manchmal sind Machtstrukturen vorherrschend, manchmal steht die Synergie mit der Natur und den anderen Menschen im Vordergrund.

Auf einem Blatt der Erdgeschichte gab es seit Beginn der menschlichen Entwicklung nur Stammeskulturen, die im Einklang mit ihrer Natur lebten. Das nächste Blatt wurde gerade erst begonnen und hat Machtstrukturen hervorgebracht, die immer mehr Menschen zusammengeballt haben, um sie besser zu kontrollieren und zu beherrschen. Die Macht steigt mit der großen Zahl der Untergebenen. Ob die Mehrzahl der Menschen in Machtstrukturen zufriedener ist, als die Mehrzahl der Menschen in Stammesvölkern, ist ungewiss.

Es mutet paradox an, dass eine Gesellschaft mit einer Wissenschaft, die das Leben nicht erklären kann, trotzdem eine Wertung der Evolution des Lebens vertritt. Die Entwicklung, so heißt es, hätte den Menschen als einen vorläufigen Höhepunkt hervorgebracht. Die materialistische, technische Kultur mit diesem egozentrischen Weltbild setzt den Menschen in das Zentrum und sich selbst in den Mittelpunkt. So können wir oftmals hören, dass die Menschheit in Gefahr ist und der Mensch den Klimawandel nicht überstehen wird. Das ist eine unzulässige Zentrierung der westlichen Kultur. Diese Kultur wird untergehen, das ist zu erwarten. Aber Menschen außerhalb der technischen Kultur werden überleben. Naturvölker haben meist eine uralte Entwicklungsgeschichte, wenn man sie mit den Kulturen vergleicht, die daneben auf- und abgestiegen sind.

Jared Diamond hat ausführlich Gesellschaften auf der ganzen Welt und zu unterschiedlichen Epochen analysiert. Er hat die Geschichte prähistorischer Gesellschaften wie der Anasazi, der Wikinger, der Grönländer und der Maya aufgeschrieben. Er hat moderne Gesellschaften in Montana, Australien, Neuseeland, China und Afrika beobachtet. Und er fragt in seinem Besuch ‚Warum Gesellschaften überleben oder untergehen‘.[1] Er arbeitet einige Entwicklungen heraus, die gut erklärt werden können und er zeigt Gemeinsamkeiten auf. Eine wesentliche Gemeinsamkeit ist das Machtstreben und der Egoismus in den Gesellschaften. Das ‚rationale Verhalten‘ legt nahe, dass der größte persönliche Nutzen erreichbar ist, wenn der Schaden für die anderen Gesellschaftsmitglieder maximiert wird. Das ist im Einklang mit dem ökonomischen Prinzip der Gewinnmaximierung. „Als „rational“ bezeichnen Wissenschaftler solche Verhaltensweisen gerade deshalb, weil sie einer vernünftigen Überlegung erwachsen, auch wenn diese ethisch angreifbar ist.“[2] Diese Vorteile lassen sich umso besser durchsetzen, je mehr Macht angewendet wird. Die Gewinne werden individualisiert und die Verluste und Schäden werden sozialisiert.  Der Staat muss das zulassen, oder sogar fördern, damit Wenige reicher werden als vorher. Jared beschreibt an vielen Beispielen, wie die Natur ausgeraubt wird. Das rationale Prinzip ist am Ende entscheidend dafür verantwortlich, dass Gesellschaften und Kulturen untergehen.

Der Untergang der Industriekultur ist ökonomisch sinnvoll.

So ist die Ausstattung des Menschen mit Verstand, der Pläne machen kann, der Strategien entwickelt, mit denen der Eigennutz gefördert wird und sein Machterhalt zementiert wird, ein wesentlicher Nachteil für die Natur.

Auch zur Angst braucht es den Verstand, der sich eine Macht vorstellen kann, die dem Menschen schadet und die stärker ist, als er selbst. Anders die Furcht, sie stellt sich in einer konkreten Gefahrensituation ein.  Jedes Wesen bringt sie in die Welt mit. Die Furcht rettet das Leben aus unmittelbarer Bedrohung. Die Angst braucht keine unmittelbare Bedrohung. Sie entsteht in der Phantasie als eine Ausgeburt des Verstandes, der von dem realen Erleben abgetrennt ist. Das phantasierte Ereignis tritt kaum ein, jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit so gering, dass der Angst die reale Basis fehlt. Angst ist Phantasie.

[1] Jared Diamond; Kollaps, Warum Gesellschaften überleben oder untergehen; Frankfurt a. M. 2006.
[2] Ebd. S. 527