Welt

 

Anthropozentrisches Weltbild

In den Naturwissenschaften hat das Weltbild eine nachvollziehbare Entwicklung genommen, die in der Physik auf eine Veränderung der Standpunkte hinausläuft.[9] Im Mittelalter vor Kopernikus und der Aufklärung hatte die Kirche die Deutungshoheit zum Weltbild. Sie kombinierte das theozentrische Bild der Hoheit Gottes im Mittelpunkt der Welt mit dem anthropozentrischen Verständnis des Menschen, um den sich alle Aktionen und Gaben des Gottes drehen. Diese Kombination wird teilweise ‚christozentrisch‘ genannt. Gott hat seinen Segen an den Menschen weitergegeben, wie Michelangelo das in seinem berühmten Bild illustriert.

Jesus ist der Überbringer und Repräsentant, da er sowohl Gott, als auch Mensch ist. Er bringt die Unendlichkeit der Gefühle in die endliche Welt der Menschen.

Diese doppelte oder vermittelnde Stellung des Gottes in der Mitte des Weltbildes wurde in der Aufklärung wieder aufgegeben. Die Betrachtungsweise wurde wieder anthropozentrisch. Der Mensch war der Mittelpunkt der Welt, um den sich alles drehte und die menschlichen Fähigkeiten, sinnlichen Wahrnehmungen und Größenverhältnisse wurden zum Maßstab aller wissenschaftlichen Berechnungen.

Die Methoden und Messungen sickerten in den Alltag der Menschen, der Handwerker und Dienstleister durch. Aus den gewandelten Philosophien der Griechen, Römer, Kirchenherren und Wissenschaftler wurde eine Ethik für den Alltag. Das wird noch gefördert, wenn in der Religion Götter gemalt oder angebetet werden, die den Menschen ähneln.

Die materialistische Welt ist anthropozentrisch.

Nicht nur die materialistische, auch die biologische Welt wurde mit der von Charles Darwin vorgeschlagenen Evolutionstheorie anthropozentrisch. In der Evolutionsbiologie werden die Entwicklungen in der Natur teleologisch dargestellt, als ob sie auf das Ziel der Menschbildung hinsteuern würden. Der Machtanspruch des Menschen über die Natur ist mehr als das, er ist selbstherrlich und gottähnlich. Mit dieser Haltung wird implizit unterstellt, dass es keine Macht über dem Menschen gibt, die ihm diesen Herrschaftsanspruch streitig machen kann.

Die Herrscher haben sich das angeeignet, da sie nun keiner Kirche und keinem Gott Rechenschaft schuldeten, sondern die Natur zweckdienlich ausbeuten konnten. Schließlich wurde die Zerstörung der Natur zum Wohl der Menschen im Mittelpunkt der Welt interpretiert.[10]

Die Größenordnungen und Skalierungen im Bild der Welt sind aus der menschlichen Größe abgeleitet oder werden mit dieser Skala verglichen. Eine Ameise ist demnach klein und ein Bakterium ist noch viel kleiner, obwohl das Bakterium im Vergleich zu einem Virus etwa 20 mal so groß ist.

Einen Elch bezeichnen wir als groß und einen Baum noch als viel größer, obwohl beide im Vergleich zu einem Pottwal klein sind. Die Messungen sind anthropozentrisch und sie sind die Basis unseres physikalischen und chemischen Weltbildes. Die Naturwissenschaft der technischen Kultur baut darauf auf und geht von diesen Ausgangspunkten auf die Suche nach den größten und den kleinsten Teilen in unserer Welt. Es fällt uns schwer, sich davon zu lösen und die Welt von einer anderen Basis aus zu erkunden. Und doch ist jede andere Basis eine Möglichkeit, die andere Welten hervorbringen würde.

Das schamanische Bewusstsein entspringt keiner dieser Positionen, weder der anthropozentrischen, noch der physikalischen, materiellen Welt, noch der vom Verstand konstruierten Welt. Das schamanische Empfinden liefert eine andere Sicht auf die Welt. Ein Schamane ist im Netzwerk der Natur verbunden.

Ein Netzwerk hat kein Zentrum.[11]

Wir können spekulieren, dass die Größenverhältnisse der Biene und ihre Fähigkeiten zu sehen und zu fliegen ein anderes Bild der Welt tragen, als das eines Elefanten. Wir können uns ausmalen, wie das Bild der Welt einem Falken erscheint, der von oben die Bewegungen im Vergleich zu unseren Wahrnehmungen in Zeitlupe sieht. Er hat sich wie die Fledermaus die dritte Dimension in seinem Lebensraum erschlossen und bewegt sich darin mit ähnlicher Eleganz wie der Delphin in seinen Räumen im Wasser. Sie finden sich dort besser zurecht als wir, obwohl sie in ihrem Element keine Abstände messen und keine Zeiten vergleichen.

[9] Das geozentrische Weltbild wurde von dem heliozentrischen Bild abgelöst, in dem die Sonne der Mittelpunkt der astrophysikalischen Betrachtungen wurde. Die Kirsche sträubte sich lange mit Macht gegen diese ketzerischen Konzepte.
[10] Die Vertreibung oder Beseitigung der nach Immanuel Kant niedrigen Rassen wurde in der machtzentrischen Gesellschaft geduldet und im Zuge der Naturausbeutung gleich miterledigt.
[11] Wenn nach einer Vergleichbarkeit der Zentrierungsbegriffe gesucht wird, denn gefällt mir die Bezeichnung ‚vitazentriert‘ für die schamanische Anschauung.