Welt
Die Physik zum Weltbild
“Fast kaum ein Philosoph, von den Naturwissenschaftlern ganz zu schweigen, wird bestreiten, daß die Erkenntnisse der Physik und überhaupt der Naturwissenschaften tief in die Gestaltung unseres jeweiligen Weltbildes eingegriffen haben.”[1] Die historische Begründung für diese Entwicklung liefert die Mechanik, deren millionenfach überprüfte Naturgesetze die Zuversicht in ihre Existenz gestärkt haben.
In der Nachfolge der Zusammenstellungen des Francis Bacon zu der wissenschaftlichen Methode (Induktion), erfanden die Physiker immer neue Naturgesetze, die dann in die mechanische Interpretation der Welt einflossen.
Naturgesetze werden erfunden, nicht gefunden.
Die Mechanik leitet sich aus der Physik ab. Sie hat die Bewegung und Verformung von Körpern zum Gegenstand und ist die Grundlage für unsere Technik in der Industrie. Der Maschinenbau weist eine große Nähe zu der Mechanik auf. Und damit schließen wir uns wieder an den Beginn der mechanistischen Weltanschauung an. Hier wurde sogar der Mensch als eine Maschine betrachtet. Wir knüpfen deshalb an die Mechanik an, um die gesellschaftlichen Implikationen zu verstehen. Maschinen sind die Basis der industriellen Revolution. Maschinen führen zur Ökonomisierung der Lebensbereiche. Die Ökonomisierung zieht die Zerstörung der Natur und den Verfall ethischer Grundwerte nach sich.
Der Ursprung der Mechanik, die in der westlichen Kultur das technische Weltbild bestimmt, geht auf Isaac Newton zurück. Er schuf eine Mathematik, mit der er Bewegungen und die Gravitation erklären konnte. Damit ließ sich zwar nicht die Natur erklären, aber Newton beschrieb Muster, die er in der Natur so ähnlich beobachten konnte. Die Beobachtung des fallenden Apfels und sein Vergleich mit dem Mond brachte ihn auf kreative Ideen. Beide Gegenstände sind nicht präzise Kugeln, sie haben lediglich eine in etwa vergleichbare Form. Er entwickelte anhand dieser idealtypischen Kugeln die Bewegungsgesetze. Indem er abstrakte Formen und Bewegungen über die Natur legte, schaffte er einfach zu erklärende Gesetze, die an der Natur verifiziert werden konnten. Damit seine Gesetze überprüft werden konnten, musste er Regeln schaffen, die alle Eigenheiten der beobachteten Natur wegdefinierten, damit sie sein mathematisches Gerüst stützen konnten.
Newton erfand die quantities materiae - die Menge an Materie und er formulierte das quadratische Reziprozitätsgesetz für die Wirkung der Gravitation.[2] Für seine Gesetze und Regeln musste er konstante Rahmenbedingungen annehmen. Deshalb setzte er die Zeit konstant und zwar unabhängig davon, ob etwas geschieht: „Die absolute, wahre und mathematische Zeit an sich und ihrer Natur nach ohne Beziehung zu irgend etwas Äußerem, fließt gleichmäßig …“.[3] Das gab seinen Gesetzen den nötigen Rahmen, konnte er doch damit die Bewegungsgesetze formulieren.
Die Zeit lässt sich in der Natur nicht beobachten und Newton konnte sie auch nicht feststellen. Zeit ist immer von Ereignissen abhängig, die in Beziehung zu anderen Ereignissen gesetzt werden. Zum Beispiel wird das Auftreffen eines Zeigers auf der Markierung einer Uhr mit dem Start eines Läufers auf einer Rennbahn verglichen. Beide Ereignisse können unabhängig voneinander geschehen. Sie zusammenzubringen ist reine Willkür und kann nicht aus Beobachtungen der Natur hergeleitet werden. Fällt die Bedingung der absoluten Zeit weg, sind die Bewegungsgesetze nicht formulierbar. Braucht die Fledermaus eine Zeitmessung um ihren Weg mit Ultraschall zu finden?
Zeit braucht Ereignisse
Für den Raum gilt Ähnliches. Newton hat formuliert: „Der absolute Raum, seiner wahren Natur nach ohne Beziehung zu irgendetwas Äußerem, bleibt immer gleichartig und unbeweglich…“.[4] Spätestens mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie wurde nachgewiesen, dass es den absoluten Raum nicht gibt. Er ist ebenso eine willkürliche Setzung wie die absolute Zeit.[5] Der Raum lässt sich in der Natur nicht beobachten, wir haben ein Raumgefühl wie wir auch ein Zeitgefühl haben. Beides geht in die physikalische Welt nicht ein. Die Gefühle gehören zu den unendlichen Galiora, die in den endlichen Konzepten der Physik nicht abgebildet werden.
Geometrie der Welt
Friedmann fasst die Erkenntnisse aus der Relativitätstheorie zusammen und stellt sie in die Beziehung zu der Welt, die in seinem Verständnis der Physik aus Materie besteht. Er kennt eine geometrische Welt mit allgemeinen Eigenschaften des Raumes und der Zeit. Sie besteht nicht aus endlicher Materie, aber sie ist mathematisch beschreibbar und damit bleiben die Gefühle nach wie vor ausgeklammert. Innerhalb der geometrischen Welt lässt sich die physikalische Welt mit arithmetischen Festlegungen definieren. „Diese Interpretation unterliegt ganz und gar der Vereinbarung und ist unserer Willkür unterworfen.“[6] Je nach willkürlicher Ausgestaltung wird es verschiedene, unterschiedliche physikalische Räume in der Geometrie geben.[7] Hier wollen wir nur zeigen, dass die Grundlagen der Physik willkürlich gewählt werden können. Das hat nichts mit den Beobachtungen in der Natur zu tun, das Leben kommt in dieser Theorienbildung gar nicht vor.
Die physikalische Welt besteht aus (endlicher) Materie und für diese Definition der Welt braucht man sowohl die Zeit, als auch den Raum. Man kann nicht kommunizieren, dass dort ein Baum stand, der umgefallen ist, wenn man dazu keine Zeit in Bezug setzt. Für diese Aussage reicht schon das Zeitgefühl, das uns bedeutet: ‚Es stand dort in der Vergangenheit ein Baum‘. Der Begriff von ‚dort‘ braucht ein Raumgefühl, denn ohne eine gemeinsame Ortsbestimmung sind solche Kommunikationen ohne Sinn und Wert. Man kann zu sich selbst sagen: ‚Ein Baum ist umgefallen.‘ Das ist eine Aussage in der eigenen Welt mit ausreichender Genauigkeit. Für die Mitteilung an Andere braucht der Mensch eine Ortsbestimmung und alle anderen Wesen auch.[8]
Die physikalische Welt braucht die Materie und umgekehrt. Ohne die Materie gibt es keine physikalische Welt, die Materie bringt Raum und Zeit mit. Newton war mit seinem Bild vom leeren Raum und der Zeit ohne Ereignisse zu restriktiv, um die Relativität der Welt in Bezug zur Geometrie zu erkennen. Für die Beschreibung der alten Mechanik war die Annahme eines euklidischen Raumes mit vier Dimensionen ausreichend.[9] Das Leben kommt nirgendwo in den physikalischen Beschreibungen und Hypothesen vor. Das Leben wird mit der Materie nicht ausreichend charakterisiert. Ohne die Spiritualität, die Seele oder das Geistige ist es nicht erkennbar.
Materie bringt Raum und Zeit mit.
Mechanik
Das waren die Rahmenbedingungen, in denen Isaac Newton seine Hypothesen aufstellte und damit für die Beobachtungen der Mechanik weitaus bessere Erklärungen fand als seine Vorgänger. Ein großer Teil seiner Untersuchungen hatte die Kosmologie zum Inhalt und hier vor allem die Frage zur Bewegung der Himmelskörper.
Das geozentrische Weltbild wurde langsam von dem heliozentrischen ersetzt, das schon in der hellenistischen Wissenschaft (ca. 300 v. Chr.) bekannt und erforscht war. Die Wiederentdeckung der griechischen Forschungen ging mit einer Überarbeitung der Mathematik einher. Neben der griechischen erhielt die arabische Mathematik mit ihrer Algebra und den arabischen Ziffern eine grundlegende Bedeutung. Die bis dahin verbreiteten mystischen und okkulten Erklärungen der Alchemisten, Handwerker, Ärzte und anderen Wissenschaftler wurden durch eine rationalistisch-materielle Betrachtung der Welt abgelöst. Die daraus abgeleitete Physik reduzierte sich auf die empirische Erforschung der Natur, die Erkenntnis durch Beobachtung.
Die Vorarbeiten zu der empirischen Methode, die ihre Erkenntnisse aus der Beobachtung und Analyse der natürlichen Welt zog, wurden von Francis Bacon beigetragen. Er formulierte in seinem Buch Novum Organum scientarium (1620) die empirische Vorgehensweise. Sie wurde in Frankreich von René Descartes durch die vernunftgetriebene Betrachtungsweise ergänzt (Principia philosophiae 1644). Die Trennung in Empirie und Rationalismus wurde in der Physik nicht durchgehalten. Es gibt keine modellunabhängigen Versuche und Erkenntnisse. Jeder Wissenschaftler trägt ein Bild mit sich in seine Versuche und danach interpretiert er die Ergebnisse. Bei Kant heißt das Metaphysik als eine ‚Erzeugung der Erkenntnis a priori‘.[10] Hawking meint: Es gibt keinen abbild- oder theorieunabhängigen Realitätsbegriff.[11]
Isaac Newton bezog sich auf beide Quellen. Von seinen alchemistischen Arbeiten und seiner Mystik ist wenig in das Weltbild der Renaissance eingegangen. Er hat sich in seiner weiteren Entwicklung nach der Formulierung der Naturgesetze intensiv mit der Interpretation der Bibel beschäftigt. Sein Hauptinteresse galt der Alchemie und darin gehörte er zu den Größten in Europa.[12] Davon zeugt der von Newton hinterlassene Koffer mit Notizen von über 25 Mio. Worten, die sich in sehr großem Umfang mit Theologie und Alchemie beschäftigten. Sie wurden versteigert und in die Welt verstreut. Für die Aufzeichnungen der von ihm formulierten Mathematik und Physik, genauer der Mechanik war das Interesse groß. Aber das Konvolut über die spirituellen Erkenntnisse und die okkulten Praktiken, die Bibelinterpretationen und die Bildsprache der Prophezeiungen ist nie an die Öffentlichkeit gelangt.[13]
Selektierende Deutungsmacht
Die Gesellschaft hat ihre selektierende Deutungsmacht eingesetzt, um das Modell des verstandesgetriebenen Weltbildes zu manifestieren. Ausgesondert wurden seine mystischen und okkulten Untersuchungen und deren Ergebnisse. Als wesentlicher Teil seiner Wissenschaft verblieb die Mechanik zur Weiterentwicklung der Physik. Sie wurde tatsächlich zu einem Eckpfeiler der Technik, die das menschliche Leben, die Kultur und damit am Ende auch die Möglichkeiten der Wirtschaft bis in die Gegenwart beeinflusst.
Schaut man auf die Grundlagen seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse zurück, dann lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Relevanz für die kulturelle Entwicklung ziehen. Das beinhaltet auch den technischen Rahmen, innerhalb dessen sich die wirtschaftliche Entwicklung vollziehen konnte. Auch hier wirkt wieder die selektierende Deutungsmacht, die gewisse Ergebnisse akzeptiert und sogar bewertet, andere Ergebnisse des gleichen technischen Ursprungs einfach ignoriert.
Ich nenne es Macht, weil Machthaber immer die Freiheitsgrade einschränken und aus Potenzialen selektieren, was ihre Macht vergrößert und die Strukturen erhält. Das zieht sich von den gesellschaftlichen Grundlagen über die Wissenschaft und Technik bis in die Ökonomie und die Politik. Ich gebe einige Beispiele.
In der Stromerzeugung wird zu einem weit überwiegenden Teil Wärme produziert, der kein ökonomischer Wert zugewiesen wird. Sie wird als Abwärme bezeichnet. Überhaupt weist das Präfix ‚Ab…‘ auf ökonomisch unbewertete Ressourcen hin, wie in Abluft, Abgas, Abraum, Abfall, Abwasser, usw. Hier wird etwas hergestellt, das für die Ökonomie nicht zu gebrauchen ist und deshalb keinen Wert zugewiesen bekommt. Jemand hat die Macht, das festzulegen, und die Gesellschaft akzeptiert das. Die Belastungen aus diesen Ab-Ressourcen werden der Natur aufgebürdet. Bei näherer Betrachtung der Vorgehensweise und ihrer Konsequenzen finden wir darin schon die Unzulänglichkeiten und Unverträglichkeiten mit der Natur und dem Leben, die als Ermüdungserscheinungen der technisch-materiellen Kultur in der Gegenwart erkennbar werden.
Die selektierende Deutungsmacht setzt schon bei den Axiomen der Geometrie an, die eine Basis der Physik ist. Physik bestimmt unser Bild der Welt. Die Axiome des Euclid begrenzen nach wie vor das Untersuchungsfeld. Mit diesen Axiomen hat der Mensch eine sehr einfache und berechenbare Grundlage für das materialistische Bild der Welt aufgestellt:[14]
Was demselben gleich ist, ist auch einander gleich
Wenn Gleiches Gleichem hinzugefügt wird, sind die Ganzen gleich.
Wenn von Gleichem Gleiches weggenommen wird, sind die Reste gleich.
Was einander deckt, ist einander gleich.
Das Ganze ist größer als der Teil.
Vier dieser fünf Axiome geziehen sich auf die Gleichheit, die demnach eine große Rolle in der Geometrie und der abgeleiteten Physik spielen wird. Damit bilden sie aber nicht die Natur ab, in der nichts gleich ist. Später wird man sagen, dass die Mathematik nur dann konsistent und stimmig ist, wenn sie nichts mit der Natur zu tun hat und andererseits die Natur nur dann in ihrer Lebendigkeit beschreiben werden kann, wenn man auf die Mathematik verzichtet. Die Mathematik und die Physik werden also nur zu konsistenten Modellen kommen, wenn sie die Wirklichkeit nicht abbilden. Die vermuteten Geheimnisse der Natur sind erst durch die selektierende Deutungsmacht entstanden. Hinter den quantifizierten Weltbildern hat die Wissenschaft seit der Aufklärung die Natur mit ihren Geheimnissen vermutet. Dabei sind die sogenannten Geheimnisse erst entstanden, als die selektierte Wirklichkeit einige brauchbare Bereiche abgegrenzt hatte. Seitdem mühen sich die Wissenschaftler ab, mit immer neuen Ergänzungen die Grenzen des Weltbildes zu erweitern. Das ist aber nur ein Krückstock, den die Wissenschaft sich selbst verpasst hat, als sie die Grenzen zog.[15]
Francis Bacon wird als der Pate der induktiven Methode gepriesen, mit der die Natur ihre Geheimnisse preisgibt. Über die Lauterkeit seiner theoretischen Phantasien sind Bedenken angebracht, denn aus seinem Lebenslauf zu schließen, formulierte er die Vorgaben für die wissenschaftliche Vorgehensweise so, dass der König seine Macht in diesem Spiel wiederfindet.
Die Physik ist für das Leben wertlos.
In der technischen Kultur der Neuzeit weisen wir der Physik die Untersuchung natürlicher Phänomene zu. Sie soll rein quantitative Gesetzmäßigkeiten finden. Die Materie der Natur wird in Wechselwirkungen innerhalb von Raum und Zeit erforscht.
Aus einer ganzheitlichen schamanischen Betrachtung sind die Antworten dieser theoretischen und praktischen Physik für die Gestaltung eines guten Lebens unbrauchbar.
Das Leben hat die Natur auf Erden hervorgebracht. Das Leben ist zuallererst Geist, Seele, Gott, Gefühl oder eine andere Qualität, aus der beobachtbare Materie entsteht. Von der Analyse der Materie – der Physik – ist kein Rückschluss auf den Geist oder die Seele möglich.
[1] Hermann Haken, Erfolgsgeheimnisse der Natur, Hamburg 1995, S.137
[2] James Gleick, Issac Newton, Die Geburt des modernen Denkens, deutsche Übersetzung, Zürich 2004, S. 129
[3] ebd. S. 133
[4] ebd. S. 133
[5] Alexander Friedmann, Die Welt als Raum und Zeit, S. 112 ff.
[6] Friedmann, ebd. S. 113. Alexander Friedmann ist aus meiner Sicht ein genialer theoretischer Physiker, der die Bedeutung der Relativitätstheorie in ihrer Tragweite zu den anderen Konzepten der Physik in Beziehung setzte.
[7] Friedmann charakterisiert die Räume nach der Krümmung und kommt damit zu Spezialitäten wie dem Riemann-Raum oder dem Weylschen Raum. Einstein hat sich in seinen Ausarbeitungen zum Relativitätsprinzip auf den Riemann-Raum bezogen. Das soll hier nicht vertieft werden, sondern dient nur als Beispiel, dass innerhalb der Geometrie beliebige physikalische Räume definiert werden können.
[8] Damit sind die anderen Lebewesen gemeint, die mit ihren Artgenossen kommunizieren. Die Bienen, die auf Nektarquellen hinweisen, die balzenden Pfauen, der Hengst, der eine Herde führt, die Wandervögel, selbst die kommunizierenden Bäume.
[9] Friedmann, ebd. S. 115
[10] Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Hamburg 2001, S. 24.
[11] Stephen Hawking, Der große Entwurf, Hamburg 2018, S. 42.
[12] Gleick, S. 106 ff.
[13] Federico Di Trocchio, Newtons Koffer, 2. Auflage 1998, S. 252
[14] Zitiert nach Donal O’Shea, Poincares Vermutung, Deutsche Ausgabe 2007, Frankfurt a.M., S. 74
[15] Georg Cantor suchte nach den Repräsentanten der Unendlichkeit in der Mathematik, E. Mach trachtete danach, die unendlichen Gefühle mit technischen Vorgängen im Gehirn zu erklären: ‚Denn das Psychische und das Physische sind überhaupt nur durch die Art der Betrachtung verschieden.‘ Dr. Ernst Mach: die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 7. Auflage 1918, S. 193