Auf der Suche nach dem ersten Stein
Leben, Metaphysik und die Welt.
Prolog
Beide Gefühle sind uns bekannt. Beide Gefühle sind vermutlich vielen anderen Wesen bekannt. Mit unserer Sprache artikulieren wir beide Gefühle.
Die Angst ist eine Beklemmung die sich breit macht, wenn die Freiheitsgrade und Möglichkeiten so eingeschränkt sind, dass eine Reaktion auf geänderte Randbedingungen nicht möglich erscheint. Angst ist innerhalb von Grenzen ein Gefühl in der Endlichkeit. Angst hat einen Raum und eine Zeit.
Die Liebe ist ein Gefühl der Freiheit. Sie stellt sich ein, wenn andere Wesen teilhaben lassen. Dann wird sie vermehrt und zu einem gemeinsamen Gefühl. Liebe ist das Grundgefühl allen Lebens. Sie ist die Anziehungskraft, die zu der Synergie führt, zu der Sexualität, zu einem gemeinsamen Leben. Liebe hat keinen Raum und keine Begrenzung in der Zeit.
Gefühle sind schwer zu beschreiben und zu definieren - die Liebe und die Angst machen da keine Ausnahme. Ich werde die Sichtweise variieren und die Gefühle unter verschiedenen Aspekten beleuchten. Der schamanische Aspekt spielt eine besondere Rolle und begleitet den Text.
Liebe im Geist und in der Seele
Jesus hat Liebe gepredigt und die Machthaber vermarkten Angst.[1]
Liebe ist schon da, die Angst kommt erst dazu.
Reden ist eine endliche Ausdrucksform und deshalb begrenzt. Das Gefühl mag unbegrenzt sein; wenn es geredet wird, bleibt es in den endlichen Grenzen gefangen.
Liebe ist unendlich und kann nicht geredet werden. Liebe ist wie ein unendlicher See, in dem sich alle Wesen zusammenfinden. Deshalb bleibt Liebe unendlich.
Jede Unendlichkeit kann eine individuelle Repräsentation haben. Das Gefühl ist die naturgegebene Ebene, auf der alle Wesen miteinander kommunizieren. Die Empfindung ist individuell und unbeschreiblich. Kein anderer kann genau das Gleiche empfinden, selbst wenn er es so nennt. Jeder hat seine Liebe, Angst oder Barmherzigkeit, Scheu, Ärger oder Freude, Schwermut, Sehnsucht, Mut oder Leid.
Jeder Mensch hat eine eigene Interpretation, Realisierung, Umsetzung in sein individuelles Gefühl und ein persönliches für ihn geprägtes Spiegelbild dafür. Das ist das große Geschenk der Natur. Die endliche Repräsentation der unendlichen Unaussprechlichkeit im Menschen macht seine Individualität aus. Jeder kennt die Liebe und doch nimmt sie in jedem eine andere Endlichkeit an.
Die Sicherheit ist auch die Freiheit der Gefühle und das Vertrauen in die unendliche Fürsorge der Natur. Die Seele macht sich aus dieser unbegrenzten Freiheit auf den Weg in das endliche Leben.
Geburt in der Liebe
Die Geburt ist der Übergang aus den unendlichen Möglichkeiten in den endlichen Körper. Bis zur Geburt ist der Mensch in Sicherheit. Sein Gefühl, das unendliche Gefühl, ist die Liebe und es gibt keinen Anlass für Unsicherheit, mithin keine Angst. Der Embryo ruht in der Sicherheit und Geborgenheit der unendlichen Natur. Auch nach der Geburt ist das Baby meist in sicherer Obhut seiner Mutter - es trinkt und schläft. Es hat keine Erwartungen.
Das Leben in der Welt stößt das Baby in die Unsicherheit, weil seine Umgebung endlich geworden ist. In dem Leben der Welt gibt es Unsicherheit und Überlebensangst, wenn das Baby nicht trinken oder schlafen kann oder andere Ängste empfindet, zum Beispiel Schmerz oder Verlassensangst.
Angst entsteht nur in der Endlichkeit.
Angst ist die Unfreiheit in den endlichen Grenzen. Angst ist die Angst vor der Unsicherheit, wenn die Grenzen fallen oder verlassen werden. Angst entsteht mit dem mangelnden Vertrauen in die Sicherheit der unendlichen Möglichkeiten, die außerhalb der selbst definierten Grenzen von der Natur bereitgehalten werden.
Unendlichkeit besteht in sich selbst. Bringt man sie in endlichen Strukturen unter, dann wird sie endlich. Das Gefühl der Freiheit hat keine Grenzen. Wird es eingeschnürt in Regeln, Strukturen, Bestrafungen oder Grenzen, dann zwängt man es in die Endlichkeit.
Die Einbindung von Unendlichkeit in die Endlichkeit wird immer endlich sein. Die Liebe ist unendlich, Zwingt man sie in ein Korsett aus Regeln und Strukturen, in feste Zeiten oder begrenzte Orte, dann ist sie nicht mehr da. Sie ist dann nicht etwa endlich geworden, sondern sie ist verschwunden. Ohne die fundamentale Eigenschaft der Unendlichkeit hat sie kein ‚SEIN‘. Endliche Liebe gibt es nicht. Endliche Freiheit gibt es nicht. Endliche Zufriedenheit gibt es nicht.
Es gibt aus der Endlichkeit keinen Weg zurück ins Paradies. Das Baby verlässt das Paradies und kommt in die endliche Welt. Es kommt also mit der Liebe, die unendlich bleibt, in die endliche Welt der Menschen.
Die Menschen in dieser Welt sind schon endlich und sie trennen das Baby von der Unendlichkeit. Damit verlässt es das Paradies der unendlichen Gefühle und tritt in die Ungewissheit der Endlichkeit ein.[2] Die Struktur, die Endlichkeit, die Begrenztheit können nur eine Hilfskonstruktion für die Sicherheit aus der Unendlichkeit anbieten. War das Gefühl der Sicherheit ein unendliches und bedingungsloses aus den Galiora[3], so ist es in der endlichen Repräsentation an Bedingungen geknüpft.
Eingrenzen durch Regeln
Eine Bedingung ist das Beachten der Regeln und "Gesetze" in der Struktur[4], eine andere Bedingung ist die Akzeptanz der Begrenzungen. Denn nur innerhalb der Begrenzungen kann die Struktur die Wirkungen versprechen, die zu der endlichen Entsprechung des Sicherheitsgefühls führen. Die endliche Sicherheit ist nicht die bedingungslose Geborgenheit in der Galiora-Welt, sondern die interpretierte Endlichkeit in kategorisierten Lebensbereichen - Sicherheit der gesellschaftlichen Stellung, Funktionsfähigkeit des Körpers, finanzielle Sicherheit, Frieden in Grenzen, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Sicherheit im Straßenverkehr, Sicherung der sozialen Stellung, Schutz vor Hunger, Schutz vor Naturkatastrophen, Schutz vor der Unberechenbarkeit und dem Chaos.
Die Machthaber stellen die Regeln auf. Das ist das Wesen der Macht. Macht schränkt die Freiheitsgrade ein und bestimmt die Grenzen.
Regeln sind Grenzen
Innerhalb dieser Strukturen, Regeln, Konventionen und Erklärungen sei der Mensch sicher und brauche keine Angst zu haben. Andererseits soll er aber Angst haben, wenn er die Struktur verlässt oder die Struktur ihn im Stich lässt.[5] Über die Struktur wachen nicht nur die Menschen und das Umfeld, sondern auch der eigene Verstand und die Vernunft. Beide suchen nach Reduktion der Unsicherheit innerhalb des Denkrahmens, der Ursachen und Wirkungen zueinander in Beziehung setzt. Die westliche, rationale Kultur ist auf eine zweiwertige Logik gegründet. Mit diesen einfachen, begrenzten Mitteln ist das Gebäude einer Welt gebaut. In das Gebäude wird das Leben eingesperrt.
Ausbreitung der Angst
Die Angst erhält ihre Möglichkeiten und ihren Raum in der Welt. Sie folgt dem Verstand beim Verlassen des Paradieses, nach Trennung von der Geborgenheit. Die Rolle des Beobachters, die Trennung in Subjekt und Objekt, die Eigenständigkeit bereitet den Boden für die Angst. In der Struktur wird nach einer Rolle verlangt, der Einsatz der Ratio ist gefordert, das Ego spielt eine Rolle. In irgendeiner Rolle sei er sicher; das ist das Versprechen der Struktur, der Ratio.
Der Mensch verspürt Angst, wenn er denkt, dass es etwas gibt mit der Macht zu verletzen, dem er nicht ausweichen kann.
Die Angst kann in der Erinnerung eingeschlossen und bewahrt sein. Die Erinnerung ist vermeintlich nicht auszulöschen und sie bewahrt die Angst, dass ein Ereignis wieder in das gegenwärtige Leben kommt.[6]
Angst bezieht sich immer auf Ereignisse in der Zukunft. Sie ist mit der Unsicherheit verbunden, dass die Struktur nicht verlässlich schützt oder sich womöglich bis dahin aufgelöst hat. Die Struktur soll Sicherheit in der Planung geben und innerhalb der Rahmenbedingungen die Möglichkeiten finden, dem Ereignis auszuweichen, das die Macht hat zu verletzen. Der Verlust oder die Unzuverlässigkeit der Struktur fördern die Angst. Und so nimmt die Angst mit der Strukturierung und der Planung zu.
Die Struktur ist endlich und sie ist mit dem menschlichen Verstand ausgedacht. Sie wird zur Struktur, indem sie akzeptiert wird und der Mensch baut mit jedem Ereignis, jeder Wirkung, jeder Erfahrung, jedem Tabu und jeder Konvention einen neuen Stein in die Mauer seiner festen Struktur der vergangenen Ereignisse. Diese feste Struktur liefert einen vermeintlichen Schutz, weil sie die zukünftigen Ereignisse in ihren Wirkungen planbar macht.
Die Angst kriecht in den Menschen, wenn er sich ein Ereignis ausdenkt, das noch nicht stattgefunden hat und das trotzdem unausweichlich in Gedanken erscheint. Die Struktur ist ausgedacht und fragil, das beängstigende Ereignis ist ebenfalls ausgedacht. Die Angst kommt über den Menschen, weil er denkt. Sie ist sehr individuell, denn sie basiert auf der Struktur, die der Mensch über sein ganzes Leben bis zum gegenwärtigen Gedanken aufgebaut hat. Und sie bezieht sich auf ein individuell ausgedachtes Ereignis, das nur von seinem Denker in seinen Einzelheiten und in den persönlich verletzenden Wirkungen erwartet werden kann.
Angst ist ein durch Denken erzeugtes Gefühl.
Angst macht krank, wenn sie sich zwischen die Geborgenheit und die Sicherheit der Mutter Natur und das individuelle Vertrauen in diese Sicherheit schiebt. Der Aufpasser[7] wird von der Struktur entsandt, von der Erziehung, der Gesellschaft, dem sozialen Umfeld, den Eltern und dem eigenen Ego. Das Ego gibt die Rolle vor oder akzeptiert sie zumindest. Mit Angst vor dem Aufpasser wird der Mensch in seiner Rolle gefangen gehalten. Der Aufpasser schickt den Menschen in seine Rolle zurück und wenn die Rolle nicht zu ihm passt, dann leidet er dort. Der Aufpasser wird die Verantwortung für das Leiden nicht übernehmen.
Angst engt ein. Sie ist wie ein Gefängnis, das die Möglichkeiten begrenzt. Die Angst ist nicht da, weil es eine Macht gibt die verletzen kann, sondern weil der Mensch sich ausmalt, dass er dieser Macht nicht ausweichen kann. Die Bedrohung mit unberechenbaren Auswirkungen macht Angst. Es fehlt dem Menschen an kreativen Möglichkeiten, dieser Bedrohung zu begegnen und ihr auszuweichen. Die Möglichkeiten[8] sind zwar da, aber der individuelle Mensch hat darauf keinen Zugriff, weil seine Bewegungen in Grenzen eingeschränkt sind. Vieles ist festgefügt und strukturiert und der einzelne Mensch sieht nur wenige Möglichkeiten oder hat kein Vertrauen, sich den angebotenen Auswegen der Natur zu öffnen.
Liebe ist Leben
Im Leben gibt es am Anfang keine Angst, weil alle Möglichkeiten offen und im Zugriff sind.[9] Das Wesen bringt die Liebe mit, weil es von ihr angezogen wurde. Die Liebe hat den Lebensfunken angezündet, nicht der Verstand. Das Baby schwimmt in der Liebe. Es kommt mit allen Möglichkeiten. Zu diesem See zieht es uns ein Leben lang hin. Der See, der jeden mit Liebe umgibt. Der See, in den wir andere Wesen einladen und der alles Leben in Liebe taucht. In dem See des Babys gibt es keine Angst vor einer Macht die verletzen kann und der man nicht ausweichen kann. Bei allen Möglichkeiten gibt es immer eine, die die Grenzen überwindet. Die Macht stellt Strukturen auf, über die sie wacht. Ohne Strukturen gibt es keine Macht. Die Liebe ist Synergie, sie eröffnet Möglichkeiten. Es gibt keine Macht über der Liebe.
Mit den ersten Anpassungen, mit dem ersten Wort, mit der ersten Erziehung, den ersten Tabus und der ersten Grenze, gibt es den ersten Ansatz für Angst. Jedes neue Tabu, jede neue Erziehung, jede neue Fertigkeit und jeder neue Besitz schränkt den Bewegungsspielraum ein und gibt der Angst neue Nahrung. Die Macht wird spürbarer, weil die Sicht auf die Möglichkeiten ihr auszuweichen immer enger wird. Wenn keine Möglichkeiten mehr da sind, füllt die Angst die emotionale Landschaft, der Bewegungsraum wird individuell als enges Gefängnis empfunden.
Diese Angst kann der Mensch nicht teilen, es ist seine individuelle Angst. Sie ist in seinem Leben, entstanden mit seinen Erlebnissen und gewachsen mit seiner Vergangenheit. Auf dieser Angst bleibt jeder sitzen und jeder muss versuchen, mit seiner individuellen Angst umzugehen. Die innere Angst ist im Selbst, sie kann nicht mitgeteilt werden, sie bleibt da. Angst füllt das endliche Gefängnis und sie lässt keinen Platz für die Liebe. Sie fühlt sich unendlich an, weil sie die Endlichkeit vollständig füllt.
Das Unendliche kann es im Endlichen nicht geben. Das Kreative kann sich in der begrenzten Struktur nicht entfalten. Die Liebe gibt es nicht im endlichen Gefängnis. Liebe ist draußen. Der Durchbruch durch die Gefängnismauern der Struktur lässt die Liebe ein.
Angst wird durch die grenzenlose, unendliche Liebe überwunden, die neue Möglichkeiten außerhalb der Grenzen bietet. Das Vertrauen in die unendliche Liebe der Natur sprengt die Grenzen und beruhigt die Seele. Eine ruhige Seele sendet über den Körper keine Signale, die wir als Symptome einer Krankheit interpretieren. Eine ruhige und zufriedene Seele sendet über den Körper keine Zeichen der Angst.
Sendet die Seele Angst, dann ertrinkt der Mensch darin, er geht unter in seiner Angst und er wird sterben. Leonhard Cohen besingt die Stärke und die heilende Kraft der Liebe in seinem Lied „Suzanne“. Jesus hat die Liebe gepredigt, die jeden erlöst und glücklich macht. Die Liebe hat uns in das Leben gebracht und sie errettet uns vor dem Ertrinken. Sie vertreibt die Angst. Hört das Lied der Liebe: ... and when he knew for certain that only drowning man could see him, he said: all man shall be sailors then until the sea shall free them ...
Der Ertrinkende kann die Liebe sehen. Er muss schwach sein, um die Rettung anzunehmen. Solange er noch meint, er wäre nicht in Not und kann die Situation allein meistern, ist er noch nicht bereit für die Rettung. Aber nicht nur die Ertrinkenden brauchen die Liebe, sondern alle Menschen sollen auf dem See der Liebe segeln. Dann befreit der See der Liebe sie von der Angst. Sobald der Mensch der unendlichen Liebe vertraut, findet er den Anschluss an neue Möglichkeiten. Aus dem Soolago[10] kommen die Möglichkeiten und ihr Träger ist die Liebe.
Liebe ist Vertrauen.
Liebe überwindet Angst
Liebe bringt die Freude über neue Möglichkeiten, wenn die alten Potenziale erschöpft sind.
Die Liebe ist anziehend und damit hält sie alles zusammen. Sie gleicht der Gravitation, von der niemand weiß, welche materiellen oder physikalischen Grundlagen sie hat. Es ist erstaunlich genug, dass die gesamte Welt der Physik zusammenbrechen würde, wenn es die Wirkungen der Gravitation nicht gäbe. Und doch hat sich eine Wissenschaft um das Unerklärliche herum organisiert, ohne eine wissenschaftliche Erklärung ihres Fundamentes zu haben.
Angst entsteht mit der Anwendung von Macht. Macht grenzt ein, aber bringt keine Lebensprozesse in Gang. Mit Macht lässt sich keine Biene zur Blüte zwingen. Mit Macht lässt sich keine Kastanie zum Baum entwickeln. Mit Macht wird kein Vogel zum Nestbau gezwungen. Die Angst lähmt das Leben.
Angst lähmt das Leben.
Liebe bricht Steine aus der Mauer, die sich als Struktur aus Ereignissen, Erlebnissen und Befürchtungen um die Seele zieht. Mit dem Vertrauen in die Liebe der Mutter Erde werfen wir einen Blick in die Freiheit der Möglichkeiten. Wir fühlen die Sicherheit und die Geborgenheit, wenn wir uns getrauen, wir selbst zu sein. Wir sind hier um glücklich zu sein und nicht, um Angst zu empfinden. Wenn wir uns von dem größtmöglichen Glück anziehen lassen, leben wir unsere Bestimmung.
Angst mit Verstand
Angst ist auch die Angst des Gehirns vor der Leblosigkeit. In dem Fall ist es nicht die Angst vor der unbekannten Gefahr, die Macht ausübt, sondern vor dem Mangel an Aktivität, der das Gehirn nicht mehr mit Lebenskraft versorgt. Diese Angst geht wieder von den Gedanken aus, die eine Gefahr um das individuelle Schicksal vorausdenken. Es ist die Angst der Nutzlosigkeit. Das Gehirn wird nicht mehr versorgt. Das Gehirn ist abhängig von der Funktion des Körpers. Der Verstand hofft darauf, dass die Randbedingungen für das Überleben des Körpers günstig bleiben. Mit anderen Worten: Der Verstand hat Angst, dass die Strukturen für das Überleben des materiellen Körpers zerstört werden - so erbärmlich die Umstände auch sein mögen.
Die Angst kann nur in den Grenzen einer endlichen Welt entstehen, in der Beziehung zu Anderen, die eine unausweichliche Macht ausüben, oder in der Antizipation von unausweichlichen Ereignissen. Die unausweichlichen Ereignisse oder Machtanwendungen sind aber noch nicht eingetreten und in der Mehrzahl der Fälle treten sie auch nicht ein, sie werden nicht zur Wirklichkeit, sondern sind nur in unseren Gedanken. Im wörtlichen Sinne sind es ‚Hirngespinste’.
In der technisch-wissenschaftlichen Kultur der Neuzeit verorten Ärzte, Biologen, Psychologen und andere Wissenschaftler oder Philosophen solche Gedanken im Gehirn. Wir denken mit dem Gehirn und wir denken uns etwas aus, das Angst macht, zu Panikattacken, Stress und Angstschweiß führt, zu Depressionen, zu Antriebslosigkeit und in extremen Fällen zum Selbstmord. Andererseits behaupten die Wissenschaftler und noch viele andere Institutionen, wie die Kirche oder die Schule, dass der Mensch eine weit entwickelte und fortgeschrittene Spezies sei. Zu diesem sogenannten evolutionären Vorteil habe vor allem sein Bewusstsein und die Entwicklung seines Hirns beigetragen.
Hat die Natur den Menschen mit diesem Hirn ausgestattet das Angst generieren kann? Oder ist die Angst aus dem Gehirn nur eine kulturelle Variante, die auch hätte unterbleiben können?
Die für den Menschen und seine Entwicklung verantwortliche Natur ist die gleiche Natur, die Wale, Fledermäuse, Kraken und Ameisen hervorgebracht hat. Für die weitere Überlegung können wir auf den Vergleich zwischen den Gehirnen verzichten. Es bleibt lediglich der Zweifel offen, warum diese Natur bei der Weiterentwicklung die Angst als Hirngespinst zugelassen hat. Wenn die Natur den Menschen als eine Weiterentwicklung angelegt hat, warum konnte sie das Gehirn nicht in einer Form entwickeln, die diese nutzlose Angst vermeidet?
Die Frage lässt sich in einem anthropozentrischen Weltbild stellen. Dieses Bild erfasst den Menschen als vorläufig letztes Glied in der Kette der Weiterentwicklung der Arten. Aus dieser Betrachtung folgen einige bedenkliche, ja sogar absurde Hirngespinste, die dem glücklichen Leben im Wege stehen. Die Welt hat sich über Jahrmilliarden immer weiterentwickelt, damit wir als Menschen im Ergebnis darüber nachdenken können das die Welt sich so entwickelt hat. Unsere Wissenschaftler erforschen eine Welt unter der Voraussetzung, dass sie geboren sind, um die Welt zu erforschen. Wir setzen unser Gehirn ein, um das Gehirn zu untersuchen, weil wir voraussetzen, dass es sich entwickelt hat, damit wir das Gehirn untersuchen können. Diese Gedankengänge sind zirkulär, damit kommen wir der Angst nicht auf die Spur.
Wir sollten besser nicht erwarten, dass Angst, die aus den Gedanken entsteht und genährt wird, durch langes Nachdenken und Anwendung von Vernunft aus der ganz persönlichen Welt eines jeden Menschen herausgedacht werden kann.
Andererseits scheint es, dass der Mensch mit seinem großen Gehirn und dem Bewusstsein seines Selbst einen Überlebensvorteil erworben hat. Der Preis für Leben mit Verstand ist die Möglichkeit von Angst durch Nachdenken und Erwartungen. Akzeptieren wir diesen reziproken Zusammenhang, dann gibt es mehr Glück im Leben mit weniger Angst. Was also vertreibt die Angst?
Liebe mit Gefühl
Die Liebe beginnt ebenfalls bei dem Bewusstsein seines Selbst und kann in einem Stadium der Zufriedenheit zu einer Akzeptanz der Lebensumstände führen. Da die Liebe alles zusammenhält, wirkt sie in dem Netzwerk des Lebens auf die Wesen zurück.
Der Löwe akzeptiert, dass er nicht jeden Tag Beute macht, aber er vertraut darauf, dass er etwas zu Fressen bekommt, wenn er es braucht. Das Blatt vertraut darauf, dass Wasser aufsteigt, wenn es gebraucht wird. Der Mensch kann darauf vertrauen, dass er von der Natur behütet wird. Das Vertrauen in die Liebe ist der Schlüssel zum Glück. Wer Liebe aussendet, bekommt das Glück aus den unergründlichen Verknüpfungen des Netzwerks des Lebens zurück.
Die Liebe ist der Angst übergeordnet, denn ohne Liebe gibt es kein Leben, keine Menschen und keine Angst. Ohne Angst gibt es sehr wohl Liebe, Leben und Menschen.
Angst ist also verzichtbar, Liebe nicht.
Die Delphine paaren sich nicht aus Angst, sondern aus Liebe.
Netzwerk
Stellen wir uns ein einfaches Netz vor. Die Knotenpunkte sind jeweils die Beziehungen, in denen ein Mensch lebt. Er ist wie jedes andere Wesen ‚nur‘ ein Knoten in diesem Netz, also nicht über- oder untergeordnet, sondern gleichgestellt.
Die Liebe hält das Netz zusammen.
Bewegt er sich in diesem Netz, dann zieht sich die Resonanz seiner Bewegung durch das gesamte Netzwerk seines Lebens. An entfernteren Knoten ist die Bewegung nicht so intensiv, wie in seiner Nähe. Antwortet jemand in dem Netzwerk, so kommt die Resonanz bei dem Menschen an. Und es ist nicht nachvollziehbar, von welchem Knoten der erste Impuls kam.
Der Impuls kommt einfach an und bewegt den Menschen. Er ist wie aus dem Nichts da und spürbar. Niemand ist isoliert, unabhängig oder übergeordnet. Jeder ist mit allem verbunden.
Die Liebe ist der Grundstoff allen Lebens, die alles zusammenhält und die wir mit in diese Welt bringen. Sie kommt aus uns und ist spürbar im Leben mit allem Anderen. Mit allem Anderen ist jedes Wesen, jeder natürliche Gegenstand, jeder Baum, jeder Strauch, jeder Lichtstrahl, jeder Luftzug und jeder Mensch in unserer Welt gemeint.
Wenn diese Liebe zu einem gemeinsamen See wird und wir wie ein Fisch im Wasser darin schwimmen, dann leben wir frei und glücklich. Der Fisch kann die Frage nicht beantworten, was das Wasser für ihn bedeutet. Es trägt ihn von innen und von außen. Der Vogel kann die Frage nicht beantworten, was die Luft für ihn bedeutet. Sie trägt ihn von innen und von außen. Wir Menschen können so wenig wie jedes andere Wesen die Frage beantworten, was die Liebe für uns bedeutet. Sie trägt uns von innen und von außen.
Wenn wir mit der Liebe erfüllt sind, dann ist kein Platz für eine Angst. Dann füllen die Ruhe und die Zufriedenheit die eigene Welt aus und nehmen der Angst den Raum. Die Unendlichkeit verdrängt die Endlichkeit.
In einer gemeinsamen Liebe werden die Freiheitsgrade Aller erhöht.
Ruhe und Zufriedenheit in Liebe sind für viele Menschen ein erstrebenswerter Zustand. Das ist nicht die Leblosigkeit in Angst, sondern der Gleichklang aller Taten - der Gleichklang in der eigenen Welt. Das Ergebnis der Selbstliebe im Gleichklang ist: man steht im Zentrum der eigenen Welt und fühlt sich beschützt und behütet. Aus dieser Geborgenheit lässt sich die Liebe leicht mit anderen Wesen teilen, denn sie vermehrt sich, indem sie geteilt wird. Wir laden sie in unseren See der Liebe ein. Da wir mit Allem verbunden sind, ist unser Gefühl für uns auch unser Gefühl für das Leben – für das ganze Leben, in dem wir dann schweben.
Epilog: Liebe Dich selbst.
Erkenne Dich in der Gegenwart und stehe zu Dir mit aller Kraft, die die Natur Dir mitgegeben hat. Akzeptiere Dich und liebe die Umgebung, die die Natur für Dich eingerichtet hat. Indem Du Deine kleine Welt liebst, spürst Du die Liebe, die zu Dir zurückkommt. Du fühlst die Kraft, die die Liebe Deiner kleinen Welt anzieht. Liebe ist die Anziehungskraft. Du wirst Dich selbst lieben, weil Du sie ausgesendet hast.
Das Leben fängt bei Dir an.
[1] Mit Machthabern meine ich allgemein die Menschen, die Freiheitsgrade einschränken. Das können Regierungen sein, Kirchen und Sekten, aber auch Vereine, Familien und Partner. Jeder, der Grenzen für andere markiert, kontrolliert und Übertretungen bestraft, ist ein Machthaber.
[2] Die Idee der Unendlichkeit findet sich in einigen Texten von mir wieder, weil sie fundamental für unser Leben ist. In einem Bild der Welt versuchen wir die Unendlichkeit in die endlichen Denkkategorien des Verstandes einzuordnen. Das gelingt aber nicht, weil es unmöglich ist, eine Unendlichkeit unter ein endliches Dach zu sperren. In abgewandelter Form begegnet uns diese Lebensfrage hier wieder und gibt uns vergleichbare Rätsel auf.
[3] Neues Wort für alle Qualitäten, die nicht zählbar sind. Neben den Gefühlen sind das auch Sinneseindrücke, Vermutungen, Träume, Wünsche und Hoffnungen.
[4] Der Begriff der ‚Struktur‘ steht für die festgefügten Rahmenbedingungen, in denen der Mensch agieren soll. Er steht für die Erziehung, die Gesellschaft, das soziale Umfeld, die begrenzten Ressourcen und für alle Erlebnisse und Erinnerungen, die die Welt formt innerhalb der sich das Leben einfügen soll.
[5] ‚Better Safe Than Sorry‘ steht für die Warnung der Struktur, sie nicht zu verlassen. Du wirst es bereuen.
[6] Tatsächlich ist es nur die Erinnerung an das vergangene Ereignis und die Rückbesinnung an die schmerzvollen Erlebnisse. Gelingt es eine Blaupause der Erinnerungen ohne die traumatischen Erlebnisse zu schreiben, wird nichts in der Gegenwart fehlen. Das Leben braucht diese Erinnerungen nicht.
[7] Der Aufpasser ist der Träger der Macht. Er kann über Ereignisse und Taten bestimmen, die Angst machen. Er hat die Macht zu verletzen.
[8] Möglichkeiten verwende ich als allgemeinen Begriff für Potenziale, Energien oder Auswege. Jeder bringt andere Begriffe in sein Bild des Lebens ein.
[9] Siehe dazu das Bild und den erklärenden Text zum Lebensbild
[10] Soolago ist der Ursprung aller Möglichkeiten