Natur

 

Es gibt in der Natur sehr viele Ordnungen, deren Struktur der Mensch nicht erkennt. Für ihn sind Ordnungen von Bedeutung, deren Prinzip er in seiner Welt unterbringen kann und die er mit anderen Menschen kommunizieren kann. Die Abstimmung über die Wahrnehmungen in seiner Welt kann der Mensch nur mit seinen Artgenossen teilen. In diesem Prozess grenzt er die riesige, unendliche, allumfassende Natur in ein winziges Feld ein, das er den Kosmos (griechisch κόσμος) nennt. Das Wort steht im Original für Ordnung und tatsächlich gibt der Mensch einem Bruchteil der Natur eine Ordnung, eine Welt, die nur seine Spezies versteht. Der Kosmos wird mit der Sprache der Mathematik beschrieben und mit mathematischen Operationen erkundet.

Andere Arten haben andere Welten. Meerestiere wie Haie, Delphine oder Robben nehmen elektrische Felder und ihre Veränderungen wahr. Adler, Falken und andere Greifvögel sehen den Ablauf der Ereignisse in Zeitlupe, weil sie im Vergleich zum Menschen zehnmal so viele Bilder pro Sekunde auflösen, bevor sie eine kontinuierliche Bewegung erfassen. Kraken haben mehrere Gehirne über deren Zusammenwirken der Mensch sich keinerlei Vorstellungen machen kann. Blumen richten sich zur Sonne aus und Bienen sehen Infrarotlicht. Fledertiere nehmen ihre eigenen Schall-Aussendungen zur Orientierung wieder auf. Keines dieser Wesen wird die Welt so quantifizieren wie der Mensch oder ihr eine Ordnung zusprechen. Würde der Mensch auch ohne seine ‘Weltordnung’ überleben können?

Aus der schamanischen Sicht ist die Antwort ein klares “Ja”. Die Natur oder die Mutter Erde hält für jedes Wesen seine Möglichkeiten bereit, die es erkennen kann und die es nutzen kann. Darauf zu vertrauen ist ein wesentlicher, lebenswichtiger Rückhalt jedes Wesens auf dieser Erde. Der Fisch vertraut darauf, dass es Wasser gibt und dieses Wasser für ihn die Nahrung bereithält. Der Kaktus vertraut darauf, dass es irgendwann Wasser geben wird, das er in seinem Fleisch speichert und von dem er lebt. Die Fruchtfliege vertraut darauf, dass es Früchte gibt, die sie ernähren. Es scheint, die Natur bringt nur dann Leben auf die Erde, wenn es Möglichkeiten zu leben hat. Der Wolf muss seine Beute jagen und seine Nahrung suchen. Aber Wölfe würden sich nicht vermehren, wenn es keine Möglichkeiten für sie zu leben gibt. Die Möglichkeiten werden zuerst da sein, bevor der Funke des Lebens zündet.

Das neugeborene Wesen braucht keine Ordnung und Struktur. Ohne erkennbare Ordnung ist das biologische Leben ebenso effizient und hat die gleichen Überlebenschancen. Das stellt die Natur schon deshalb so ein, weil es die Basis für weiteres Leben ist. Die Früchte an den Sträuchern leben, weil sie die Nahrung für Tiere sind und sich vermehren. Fischschwärme leben vom Plankton und sind gleichzeitig Futter für Meeressäuger. Das Ergebnis des biologischen Lebens ist die Möglichkeit für neues Leben.

Jedes Leben braucht vergangenes Leben um sich zu entwickeln. Es braucht weitere Grundlagen für seinen Stoffwechsel, aber vor allem braucht es anderes Leben, um in sein Leben zu kommen und ernährt zu werden. Am Ende seines Lebens vergeht es wieder für die weiteren Leben. Der Begriff dafür ist: Biogenese.

Leben braucht Leben.

Zwischendurch wächst das Wesen oder der Organismus, wobei ungeklärt ist, wann das Wachstum aufhört. Wie groß wird ein Baum, ein Mensch, eine Fliege? Er kann es nicht abschätzen oder steuern. Eine gängige Erklärung der physikalisch ausgerichteten Biologie ist, dass diese Information in den Genen liegt. Das ist natürlich etwas kurzatmig, weil die Frage auf die nächste Ebene verschoben wird, die dann wiederum offen bleibt: Wie kommt diese Information in die Gene? Für die Grenzbestimmung braucht es keine Wahrnehmung der Sinne, wie wir sie definiert haben. Die Rahmenbedingungen setzen die Grenzen auf eine Weise, wie wir sie uns nicht vorstellen oder gar wahrnehmen können.

Die Rahmenbedingungen sind selbst das Leben oder waren einmal lebend. Sie nehmen Einfluss auf das Leben, sie nähren es und sie begrenzen es. Sie lassen ein Wachstum zu bis zum Rande der Möglichkeiten. Auf die Rahmenbedingungen muss die gleiche Frage projiziert werden. Und so kaskadiert die Frage nach dem Wachstum durch das Leben, das die Rahmenbedingungen schafft, die das Leben zulässt. Diese Kaskade des Lebens setzt sich weiter und weiter fort, bis es zu dem letzten Grund kommt, dem Ursprung aller Möglichkeiten, dem Wasser.

Hat das Wasser eine Ordnung? Wir erkennen sie nicht und kein anderes Leben auf der Kaskade zum Wasser erkennt sie. Die Leben brauchen keine Ordnung, sie brauchen nur die Wahrnehmung ihrer Möglichkeiten, die sie nutzen können.

In der schamanischen Betrachtung der Natur haben wir die Ahnen im weitesten Sinne, die unser heutiges Leben mitbestimmen. Außerhalb der anthropozentrischen Sichtweise haben die Tiere ebenso Ahnen, wie die Pflanzen. Und in der Evolution kommt alles in einem gemeinsamen Ursprung zusammen. In der schamanischen Sicht haben wir alle eine Verbindung miteinander.

Alles ist verbunden.

In der biologischen Genforschung übrigens auch, es fehlt allein das Bekenntnis dazu. Wir teilen mit Kraken, Regenwürmern und Schimpansen die Gene. Nun soll es aber doch eine Grenze zwischen den Menschen und allen anderen Wesen geben. Die ist genetisch nicht nachweisbar und eine materielle Quantifizierung führt ins Leere. Der Wasserfloh hat mehr Gene als der Mensch. Aus der Einsicht, dass die jeweiligen Leben sich an die Randbedingungen anpassen, die von Leben gebildet werden, lässt sich eine Erklärung zu den Genen folgern: Die Anzahl und Komplexität der Gene sind von den Rahmenbedingungen und den Möglichkeiten des Wesens abhängig, in einem Umfeld zu überleben.