Natur

 

Theoretische Ordnungen

Die Materie, die Körper auf der Erde, haben eine arttypische Form. Dem kann man eine gewisse Ordnung zuschreiben. Sie sind sich jeweils ähnlich. Die Art der Ordnung in der Natur ist also die Ähnlichkeit der Form und Struktur. Die Ähnlichkeit genügt der Natur und ihren Wesen, um das Lebensprinzip aufzubauen.[1]Es braucht gar keine Gleichheit, um einen materiellen Gegenstand zu erkennen. Die Ähnlichkeit reicht aus, die Möglichkeiten zu erkennen, die das Wesen zum Überleben braucht. Der Specht muss zum Beispiel einen Baum erkennen können, denn der hält lebenswichtige Möglichkeiten für ihn bereit.

Die Notwendigkeit für bestimmte Formen des Lebens ist nicht erkennbar. Was bringt die Wiederholung des Lebens dazu, sich in Formen und Strukturen zu ordnen? Der Humus für neues Leben wird doch gerade dann erst verwendbar, wenn er die Ordnung der Struktur hinter sich gelassen hat, zerfallen ist und damit auf ein anderes Niveau der Ordnung zurückgekehrt ist. Ordnungen haben also ein Niveau und manche Niveaus sind für den Menschen erkennbar.

 

Ordnungen werden zu Ordnungen, wenn sie erkannt werden.

Die menschliche Ordnung ist ein Teilbereich der natürlichen Ordnung, weil der Mensch ebenfalls Natur ist. Wenn wir den Begriff der Ordnung ganz weit fassen, dann gilt das für jedes Wesen, das eine Orientierung braucht und eine Wiedererkennung.

Jede Art von Zuordnung und Erkennung ist ein Teilbereich der natürlichen Ordnung. Ein Hund erkennt einen Weg nicht am Asphalt oder an dem plattgetretenen Gras, sondern an den Geruchsmarkierungen am Boden oder in der Luft. Er ordnet den Markierungen einen Ort zu. Ein Delphin ordnet den reflektierenden Ultraschallwellen ein Stück Materie zu. Der Mensch ordnet der Stimme ein Gesicht zu.[2]

Der Mensch kann aber auch Ordnungen erfinden, die es in der Natur gar nicht gibt. Er macht sich ein Weltbild, das außer ihm kein anderes Wesen teilt.

Allerdings hat der Mensch sich in der westlichen Kultur mit den Philosophen der Aufklärung von der Natur gelöst und sieht sich selbst als Betrachter der Natur, die er Umwelt nennt. Mit der menschlichen Ordnung ist also die Betrachtung gemeint, die Natur und Beobachtungen der Natur rastert, sortiert, bewertet und je nach Fragestellung in Ursachen und Wirkungen einteilt.

Ordnung ist ein subjektiver Begriff, den jedes Wesen in Abhängigkeit von seinen Wahrnehmungen und Ordnungsprinzipien empfindet. Wie jedes Wesen eine andere Welt hat, so hat es auch eine eigene Ordnung für diese Welt. Ordnung fasst gleiche Erscheinungen aus der natürlichen Ordnung als Struktur zusammen.[3] Eine fundamentale Bedingung für die Ordnung ist also die Definition einer Gleichheit in den Wahrnehmungen. In der Kommunikation miteinander gleicht man diese Ordnungen ab und bezeichnet gleiche Ordnungen mit Begriffen.

Die natürliche Ordnung lässt Möglichkeiten der Interpretation zu. Ordnung ist die Einschränkung von Möglichkeiten und hat somit eine Grenze der Gültigkeit. Sie ordnet Teilsysteme aber verschließt sie gegenüber anderen Systemen, die eine eigene Ordnung aus anderen oder gleichen Beobachtungen erkennen und festlegen.

Ordnungen können durch neue Beobachtungen unter neuen Kriterien entstehen und in gemeinsamen Verabredungen als eine Struktur etabliert werden. Dann ist aus dem gleichen Chaos mit neuen kreativen Grundlagen eine neue Ordnung entstanden, die als Basis einer verabredeten Wirklichkeit dient. Eine Struktur wird also nicht von der Natur geschaffen, sondern vor dem Hintergrund individueller Wahrnehmungen abgestimmt.

Eine Ordnung wird nicht entdeckt, sondern verabredet.

Der Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft ist eine Geschichte immer neuer Ordnungen für die gleichen Beobachtungen. Dabei wird die Grenze der Erkenntnis erweitert und nimmt bisher anders erklärte Wahrnehmungen in die jeweils neue Ordnung mit auf. Keine Ordnung der materiellen Welt ist vollständig oder fundamental für alle Strukturen. Materielle Weltbilder zerfallen wie Strukturen und machen Platz für neue Strukturen aus dem Rest und dem Humus der alten Ordnungen. Erkenntnisse haben ein eigenes Leben. Sie brauchen alte, verstorbene Erkenntnisse und neue Theorien und neue Energien für ein neues Wachstum.

In der Kosmologie haben die Menschen schon immer die Gestirne beobachtet und versucht, eine Ordnung dafür zu entdecken und zu verabreden. In den frühen menschlichen Erklärungen zogen Götter die Sterne über den Himmel und folgten dabei bestimmten festgelegten Bahnen. Erstaunlicherweise folgten die Götter den gleichen oder immer wiederkehrenden Bahnen. Dies offenbart ein tief verwurzeltes Bedürfnis der Menschen in dieser Kultur nach einer Ordnung und einer Struktur für ihr Bild der Welt. Mächtige Götter, die Sterne über den Himmel bewegen wären doch in der Lage, die Sterne irgendwie irgendwohin zu ziehen. Warum sollten sie bestimmten Bahnen folgen? Es ist kein Grund zu erkennen, außer der Mensch wünscht sich eine Struktur, an der er sich orientieren kann und in der er sich sicher fühlt.

Außerhalb der Struktur ist das Chaos und das Chaos birgt Überraschungen und Unsicherheit. Wenn der Mensch sich aus der behüteten Welt der unendlichen Liebe und Umsorgung der Ganzheit gelöst hat, dann wird die Zukunft gefährlich, wenn sie unvorhersehbar und chaotisch ist. Angst ist die Folge.

Die alten griechischen Naturphilosophen fanden für die gleiche Beobachtung der Gestirne andere Erklärungen. Nach ihren Annahmen folgten die Sterne regelmäßigen Kreisbahnen, denn der Kreis war die perfekte Form. Er vermittelte zwischen der Unendlichkeit und der endlichen Bewegung in eine Richtung. Man bewegt sich entlang einer fest strukturierten Bahn und kommt doch nicht zu einem Ende. Bis in das Mittelalter hielt die Vorstellung von kreisförmigen Planetenbahnen stand. Erst als die Beobachtungsmöglichkeiten verbessert wurden und immer mehr Kreise und Epikreise nötig wurden, um die Wanderschaft der Gestirne zu erklären, suchte man nach neuen Ordnungsprinzipien.

Kopernikus fand schließlich die Ellipsen als neues Ordnungskriterium nach dem die Bahnen der Planeten und Gestirne beschrieben werden konnten. Das Prinzip erklärte die Beobachtungen besser als die Kombinationen verschiedener Kreise in dem vorherigen Bild der kosmologischen Welt. Es hielt aber keine Erklärung dafür bereit, warum die Sterne sich überhaupt umeinander bewegen und nicht einfach herunterfallen.

Aus Newtons neuen Konzepten über die Gravitation folgte eine Erklärung für das Phänomen, die sowohl auf der Erde, als auch im Himmel gültig war. Die Sterne fallen einem Gravitationszentrum entgegen und die Zentrifugalkraft wirkt dagegen und hält sie auf der Kreisbahn um das massereiche Zentrum. Das gesamte Schauspiel findet in einem statischen Raum mit einer gegebenen Zeit statt.

Die Erklärungen bezogen weitere Ordnungsprinzipien in eine Struktur mit ein, die vorher in separaten Inseln der Struktur mit anderen Theorien verknüpft waren. Eine neue Sprache und eine neue Mathematik etablierte sich, mit der die Erkenntnisse kommuniziert werden konnten. Ein neues Bild der Welt diente als Grundlage für eine darauf aufbauende Technik und für die Nutzung mechanischer Hilfsmittel im täglichen Leben der Forscher, aber auch der Haushalte, der Staaten und der Unternehmen.

Trotz der bahnbrechenden Erkenntnisse Isaac Newtons, die das bestehende Bild der Welt auf naturwissenschaftlicher Ebene aus den Angeln hoben, blieben außerhalb dieses Teilbereiches einer vereinbarten und sicheren Ordnung noch immer weite Flächen der anderen Welt im Chaos, unerklärlich und eingebettet in traditionellen Strukturen.

Was wirkt auf die Masse ein in anderen Bezugssystemen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen? Wie werden die Teile, die das Licht tragen überhaupt bewegt und gibt es überhaupt Teile mit einer Masse, die man so nennen kann und die sich mit der Geschwindigkeit des Lichtes bewegen? Welche Energie ist zum Erreichen der Lichtgeschwindigkeit notwendig? Gibt es ein Verhältnis zwischen Masse und Energie?

Einstein fand neue Erklärungen für die Fragen und die alten Beobachtungen. Der feste, unveränderliche Raum als Hintergrund für das Schauspiel der Mechanik wurde in die Erklärungen mit aufgenommen. Der Raum verlor seine Rolle als die Bühne der Mechanik und wurde zum Mitspieler in Relation zu der Masse und der Energie. Eine ähnliche Wandlung vollzog sich mit der Zeit, die ihren festen Takt in Ableitung aus der Erdumlaufbahn und dem Taktgeber Sonne verlor. Die Zeit wurde in Einsteins Theorie in Relation zu Ereignissen gemessen, die sich in anderen Bezugssystemen mit demselben Taktgeber abspielten. Würde man den Taktgeber für die Strukturierung wechseln, so geht ein wesentlicher Bestandteil der Theorie und der Ordnung verloren.

Tatsächlich sind es in allen Theorien immer dieselben Sterne an dem gleichen Himmel.[4]

[1]Die Natur braucht nicht die strenge mathematische Gleichheit. S. zu diesem Problem der Gleichheit das entsprechende Kapitel
[2] Es gibt erheblich mehr Ordnungen als Phänomene, denn jedes Wesen hat eine eigene Ordnung für dieselben Beobachtungen oder Materie der anderen Wesen.
[3] Das Postulat der Gleichheit ist für die Definition fundamental. In der Natur ist im strengen Sinne nichts gleich, sondern allenfalls ähnlich. Die Gleichheit ist eine Vereinbarung. Mit dieser Erkenntnis kann man anzweifeln, dass es überhaupt eine natürliche Ordnung gibt, die dem Verständnis der menschlichen Ordnung entspricht.
[4] Die Bildung der Theorien und Erklärungen der wissenschaftlichen Welt hat Kant formalisiert (siehe dazu den Text über die reine Vernunft)