Natur

 

Gesellschaften

Nehmen wir aus der Metapher des Paradieses die Essenz und bauen darauf eine Lebenswelt, die eine Gesellschaft mit dem Potenzial der Zufriedenheit und des Glücks für die Menschen darin realisiert.

Im Paradies leben die Wesen in Freiheit, deren Grenzen an der Freiheit der Anderen enden und an einem Tabu: „Iss nicht von dem Apfel.“ Das Tabu hat keine verstehbare Bedeutung und das braucht es auch nicht. Gesellschaften nahe der Natur geben dem einzelnen Mitglied seine ihm zustehende Freiheit und begrenzen sie lediglich durch Tabus. Das war auch die Vorgabe im Paradies. Gesellschaften weitab von der Natur geben dem Einzelnen oder ganzen Gruppen Regeln vor, nach denen sie handeln müssen, mit der Möglichkeit von Ausnahmen.

Der Imperativ der paradiesischen Gesellschaft lautet: Entfalte dich nach deinen Möglichkeiten, ohne Tabus zu verletzen. Das erste Tabu ist es, die Möglichkeiten der Anderen einzuschränken.

Liebe und AngstIn den Gesellschaften haben die Anführer oder Herrscher jeweils andere Aufgaben. In der Machtgesellschaft werden Regeln aufgestellt und durchgesetzt. Im Verlauf der Entwicklung entstehen neue Regeln und Metaregeln. Die Lage wird unübersichtlich und für den Menschen nicht mehr transparent. Den Regeln folgen Sanktionen, die nicht minder unübersichtlich sind. Der Machthaber festigt seine Position, aus der er bestraft und seine Macht vergrößert. Angst vor einer Strafe wegen Regelverletzung ist bei den Mitgliedern einer Machtgesellschaft allgegenwärtig.

Eine Machtgesellschaft kann sich nur außerhalb des Paradieses entwickeln. Sie begründet eine Kultur der Dominanz zu Lasten ihrer Mitglieder und der gesamten Umgebung. Der Herrscher fordert Gehorsam ein und absolut regelkonformes Verhalten. Die eingesetzte und eingeforderte Fähigkeit der Menschen ist der Verstand und daraus resultierend die Vernunft. Sie dominiert die Gefühle.

Eine Seinsgesellschaft begründet eine Kultur der Synergie mit ihren Mitgliedern und der gesamten Umgebung. Der Primus führt die Mitglieder mit seiner Souveränität und steht ihrer Freiheit nicht im Weg. Die Mitglieder fordern vom Primus Hilfen ein, die ihnen die freie Entfaltung nach ihren Möglichkeiten sichert. Die eingesetzte und eingeforderte Fähigkeit des Menschen ist der Geist und daraus resultierend das Gefühl. Der Geist dominiert den Verstand.

Die jeweils abgeleiteten Handlungsmaximen legen es nahe, von einer Ethik zu sprechen oder einer praktischen Philosophie. Beide Gesellschaften haben also unterschiedliche Ethiken. Wegen ihrer fundamentalen Bedeutung für das menschliche Leben wird oft der Begriff des Göttlichen für das Fundament der Ethik verwendet.

Die Betrachtung von Gott und Religionen führt uns allerdings recht weit von dem Thema der Gesellschaften mit ihrem Abstand zur Natur weg. Die Religion prägt sicher eine Kultur und wirkt auf sie ein. Andererseits erschaffen Gesellschaften eine Religion aus ihren Traditionen, den Geschichten und den Mythen ihrer Gemeinschaft. Die Anwendung der Religion in Kirchen und Gottesdiensten hilft den weltlichen Führern ihre Ethik durchzusetzen und den Mitgliedern der Gemeinschaft, die Ethik in ihrem Leben zu verstehen und umzusetzen. Auf der Ebene kann die Essenz der Ethik jedoch verwischt oder uminterpretiert werden. Deshalb lassen wir Religion oder Kirche aus der Betrachtung an dieser Stelle.

Einen inneren Gott können wir für die Ethik heranziehen und in diesem Sinne ist Gott ein Gefühl und er ist unendlich wie ein Gefühl. Wir haben die Ethik in den Gefühlen. Im schamanischen Kosmos wird die Ethik von den Gefühlen bestimmt, die sind unendlich und göttlich. In diesem Sinne ist das Sein in der schamanischen Betrachtung eng an die Mutter Erde und das Prinzip des Lebens angeschmiegt, das ebenfalls unendlich ist.

Die Machtgesellschaft lebt nach Regeln und die werden vom Verstand erfunden und geschrieben. Jedoch der Verstand führt uns von der Natur weg, denn er liefert eine menschliche, endliche Interpretation von Ethik. Die Interpretation ändert sich mit dem Menschen und seinem Denken, so dass zu manchen Zeiten bei unterschiedlichen Gelegenheiten andere Vorstellungen einer Ethik mit anderen Wertungen von Gut und Böse vom Verstand erzeugt werden.

Der Verstand ist ein endliches Instrument. Die Ergebnisse der Vernunft hängen von der Verschaltung einer Vielzahl der Synapsen ab, die Informationen im weitesten Sinne austauschen. So ist jedenfalls das Bild der aktuellen Forschung, die darauf basierend künstliche Intelligenz erzeugen will. Mit dem Austausch dieser Informationen innerhalb des endlichen Gehirns kommt ein Ergebnis dabei heraus, das wir Denken nennen. Die Erkenntnis als Ergebnis des Denkens ist endlich, begrenzt und von eingeschränkter zeitlicher Relevanz. Eine verstandesgemäße Ethik ist demnach ebenfalls endlich und im Gegensatz zu einer gefühlsbegründeten Ethik unnatürlich.

Eine Gesellschaft mit überwiegend rationalen Ethiken und materiellen Bedürfnissen ist fernab der Natur, und das nicht nur, weil sie auf einer endlichen Grundlage der Erkenntnis beruhen, sondern auch, weil sie nur für den Menschen Gültigkeit haben. Jedes andere Leben auf Erden ist von einer Vernunftethik ausgeschlossen. Moderne Gesellschaften der Neuzeit sind unnatürlich und ihre darauf basierenden Kulturen sind vergänglich und schädlich für die Natur.

Die Ethik ist eine innere Tugend, die von Platon mit der ‚Gerechtigkeit‘ ihr höchstes Ziel erreichen kann. Das Gute ist jeder Tugend übergeordnet, es verleiht allem Tun einen Sinn und ein höheres Ziel. Die Umsetzung des Guten im Handeln ist eine Basis der Moral und der Ethik.

Bei Platon und im Schamanischen wird das Gute erreichbar, wenn man seine eigene Göttlichkeit erkennt. Die Göttlichkeit ist der Einklang der inneren Balance. Das Gute, der Einklang mit seiner eigenen Göttlichkeit wird zur Basis des Glücks. Die Ethik des Glücks ist somit eine innere Ethik, die keinem äußeren Zwang, keiner Machtausübung, keinem Rollenspiel unterliegt.

Eine Gesellschaft mit einer schamanischen Ethik lässt eine höchstmögliche Selbstverwirklichung zu. Sie ermöglicht die meisten persönlichen Freiheitsgrade. Das Zusammenleben ist die Synergie dieser bestmöglichen individuellen Verwirklichungen. Hingegen schränkt eine Machtgesellschaft mit ihren Regelwerken und den nachfolgenden Belohnungs- und Bestrafungssystemen die persönlichen Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten weitgehend ein. Die darauf aufbauende Kultur ist fernab der Natur, sie definiert Natur als die Restgröße, die nach der Kultivierung der Mutter Erde übrigbleibt.

In der griechischen Mythologie werden diese Prinzipien in der Artemis für die wilde, unberührte Natur verkörpert und in der Demeter für die Kultivierung des Ackerbaus. Ihre Tochter Persephone fällt dem Hades anheim und residiert als Kompromisslösung für die Wintermonate in der Unterwelt und in den anderen acht Monaten in der Welt der Menschen, um die Erde fruchtbar und für den zivilisierten Menschen lebenswert zu erhalten.

Nach der Einleitung zum Ursprung von Gesellschaften betrachten wir aus diesem Blickwinkel die Mutter Erde und ihre Natur. Das Lebensprinzip der Mutter Erde ist ein infinites Spiel, bei dem es kein Ziel im Sinne einer Rangfolge oder einer endlichen Zielerreichung gibt. Das Spiel soll sich immer fortsetzen und in seinem Rahmen die endlichen Spiele beinhalten.

Für die Fortsetzung des Lebens auf Erden gilt zoë, das Lebensprinzip, nach dem das neue Leben auf der abgestorbenen Biomasse alten Lebens wächst und gedeiht. Dafür wird die Bildung der Biomasse in einem Stoffwechsel gebraucht, die Fortpflanzung und der Tod. Für die Vermehrung müssen die Lebewesen relativ eng beieinanderbleiben. Die Nähe prägt die Gesellschaft. Gesellschaften werden also von Lebewesen erschaffen, die sich einander nahe sein wollen.

Die Liebe hält alles zusammen.

Die Liebe ist die Kraft, mit der sich Lebewesen und damit auch Menschen zueinander hingezogen fühlen. Damit ist die erste Motivation des Menschen für die Gestaltung seiner Gesellschaften klar und offensichtlich: Fortpflanzung und alles, was im weiteren Sinne daraus abgeleitet ist, also: Leben, Fruchtbarkeit, Lust, Vergnügen, Kraft, Werden und Wachsen – in der griechischen Mythologie gibt es viele Götter, die diesen Part des Lebens in unterschiedlichen Teilbereichen verkörpern: Kybele, Artemis, Demeter, Aphrodite, Dionysos, Hermes, Priapos und vor allem Eros. In ihnen werden das irdische Leben und Gedeihen verehrt.

Die Fruchtbarkeit wird von den Griechen und in vielen anderen Gesellschaften ebenfalls sehr hoch gelobt und in den Rang der göttlichen Fähigkeiten und Geschenke an Menschen und alle Wesen der Natur erhoben. Dazu gehören alle Freuden und Genüsse des Essens und Trinkens. Die Natur hat das so eingerichtet, damit die Biomasse den Mantel der Erde stärkt und erweitert. Letztlich sind alle Grundlagen des Lebens in der Natur von der Biomasse vergangenen Lebens erzeugt worden. Das Wachsen der Biomasse erfordert also das Absterben des Lebens und damit wird der Tod zu einer fundamentalen Basis der zoë.

Die Gesellschaften in der Natur richten sich innerhalb ihrer Rahmenbedingungen ein. Regeln sind in der Natur unbekannt. Bis zu dem Rand seiner wahrgenommenen Welt darf jedes Wesen und jede Pflanze alles tun, was ihm möglich ist. Regeln sind eine Setzung der Machtkultur, nicht der Natur. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen den Regeln, die der Mensch in seiner Kultur definiert und den Abläufen in der Natur, die keine Regeln zur Grundlage haben, sondern das Chaos. In der von Menschen definierten Kultur soll das Individuum nach den Regeln agieren, hier werden die Aktionen vorgegeben. Andernfalls wird es bestraft. Es ängstigt sich in diesen Vorgaben der Macht. Die Angst ist die Peitsche der Macht. Es ist die Angst vor einer Macht, die einem schaden kann und der man nicht ausweichen kann. Die Macht ist in den abrahamitischen Religionen als Gott personifiziert.

Die Natur übt keine Macht aus und deshalb kennen die Gesellschaften nahe der Natur keine Regeln. Sie können sich frei innerhalb ihrer Möglichkeiten bewegen, es sei denn, ihre Gesellschaft hat ein Verhalten oder eine Aktion zum Tabu erklärt. Das Tabu bannt einzelne Aktionen, aber außerhalb des Tabus gibt es keine weiteren Regeln. Der Mensch kann alles tun, was ihm möglich ist, außer es ist tabu. Das ist das Gegenprogramm zu den Machtgesellschaften.

In naturnahen Gesellschaften ist das Grundprinzip Freiheit.

In Machtgesellschaften ist das Grundprinzip Einschränkung.

Das sind zwei Gegensätze, die ich nicht polarisieren will. Zwischen diesen Polen gibt es fließende Übergänge zu Mischformen. Wir wollen unsere Randbedingungen kennenlernen und darin unsere eigene Position bestimmen. Aus einer Gesellschaft kann man kaum austreten und sich in eine andere Gesellschaft abmelden. In den Strukturen der Gesellschaft sind wir aufgewachsen, sie haben uns geprägt und sind Teil unserer Vergangenheit, unserer eigenen Struktur. In der Gegenwart werden die Wege für die Zukunft beschritten. Das Leben kann sich neu nach uns ausrichten, wenn wir es einladen und Veränderungen zulassen. Wir ergreifen unsere Möglichkeiten.

Kultur ist eine solche Möglichkeit innerhalb der Gesellschaft. Kultur sind Verhaltensweisen, gemeinsame Erinnerungen, der Zeitgeist, die Werte, denen man sich anschließen kann, oder die man für sich ablehnt. Das bedingt eine Selbsterkenntnis und eine Reflektion der übereinstimmenden Werte. Das ist schwer. Von einer Position innerhalb einer Kultur lässt sich das Wertesystem der Gesellschaft schlecht reflektieren. Eine kritische Sicht bedingt die gedankliche und emotionale Loslösung aus dem erlernten Wertekanon.

Für unsere abendländische Gesellschaft heißt das, sich außerhalb der materialistischen Kultur einzurichten und von dort das endliche Spiel der Akteure zu beobachten. Zwischen der Kultur und der Gesellschaft ist ausreichend Raum für spirituelle und nicht materielle Lebensweisen - Schamanismus kann sich dort entfalten, mystische Erfahrungen und kontemplatives Leben. In einer Gesellschaft gibt es Möglichkeiten, sich dem vereinbarten Wertekatalog zu entziehen und eigene Freiheiten zu leben. Schamanismus braucht keine Kultur. In der ganzheitlichen schamanischen Empfindung des Lebens gibt es keine Trennung zwischen Natur und Kultur, sowenig wie zwischen geistig und materiell.

Diese Position eröffnet einen anderen Blickwinkel auf die Handlungen in der menschlichen Gemeinschaft. Sie überwindet die Grenzen der Materie und die Beschränkungen der Kausalität und der exakten Wissenschaften. Spiritualität und ganzheitliche Sichtweisen ermöglichen lebensnahe Erfahrungen. Das zoë ist akausal und unberechenbar. Es durchdringt die Welten der Menschen und aller Lebewesen.

Das Leben ist akausal.

Die Natur ist ein Ergebnis des zoë und sie trägt die Gesellschaften der Lebewesen. Erst darauf schwimmen unterschiedliche Kulturen in verschiedenen Abständen zu der Natur. Das schamanische Bild des Lebens erkennt gar keine Trennung zur Natur. Wir wollen das ‚Paradies‘ nennen. Manche Kulturen lehnen sich mit ihren Werten und Regeln eng an die Natur an. Andere Kulturen haben Götter zwischen sich und die Natur positioniert. Götter behüten die Natur einschließlich der zugehörigen Menschen. In manchen Religionen beherrschen die Götter die Natur und teilen ihre Herrschaft mit den Menschen. Die materialistische Kultur kommt ohne Gott und Religion aus. Sie hat lediglich das Machtprinzip aus der abrahamitischen Religion in ihr Weltbild übernommen. Das ist das schmalste Brett, auf dem der Mensch ohne Unterstützung der Mutter Erde wandeln will. Es ist die weiteste Entfernung der Kultur von der Natur. An seinem Endpunkt stehen die Naturwissenschaft und Technik.

Auf dem langen Weg vom Paradies zur Technik gehen viele Menschen für das Leben verloren. Sie richten sich bequem im Schatten der Kraftwerke ein und arrangieren sich mit den Zivilisationskrankheiten. Für sie lassen sich keine Geschichten der Liebe erzählen. Die Liebe braucht keinen Weg aus dem Paradies - sie bleibt da. Der gepflasterte Weg zur Technik ist gesäumt von Angst. Er hat keinen Endpunkt und kein Ziel, er hat nur einen Zweck: die Vermeidung von Angst.

Es gab in der Vergangenheit unterschiedliche Kulturen der Macht und der Technik. Wir brauchen den Weg der modernen technischen Kultur bis zum bitteren Ende gar nicht fortzuschreiben. Es genügt ein Blick zurück in vergangene naturferne Kulturen. Die Ägypter haben in den 2.000 Jahren ihrer Kultur beispiellose Anstrengungen betrieben, Symbole der Unsterblichkeit zu errichten und zu pflegen. Die goldenen Totenmasken, die Mumien, die Pyramiden, sind eindeutige Versuche über eine lange Zeit nach dem kurzen Leben hinaus die Freuden und das Bewusstsein zu konservieren. Die gesamte Kultur ordnete sich dieser Aufgabe unter. Thanatos fand sein dauerhaftes Symbol im Pyramiden- und Tempelbau und im Götterkult um die Herrscher.

Die abrahamitischen Religionen reduzierten die der Natur innewohnenden Götter auf einen einzigen Gott, der speziell für den Menschen ansprechbar war. Er war ein Machtgott, der die Natur geschaffen hat und damit wurde die Entwicklung aller Lebewesen aus der Natur pervertiert. Dieser Gott war fernab der Natur, er ist von ihr getrennt. Er beherrscht die Natur wie ein König. Er hat die Natur erschaffen und steuert sie. Der Mensch als sein beliebtes, auserkorenes Lebewesen übernimmt teilweise seine Macht. Er hat damit ebenfalls das Potenzial, die Natur zu beherrschen. Folgerichtig ist er damit ebenso fernab der Natur, von ihr getrennt. Der Gottessohn hat Liebe gepredigt, das war der letzte Versuch der Aussöhnung mit der Natur. Aber er wurde von angstvollen Herrschern getötet und es verblieb die kalte Macht.

Die Liebe lässt sich nicht in die Macht integrieren. Das ist der Versuch, die Unendlichkeit in ein endliches Spiel zu zwängen. Unendlichkeit lässt sich nicht quantifizieren, das ist ein Hirngespinst aus dem Schaltzentrum der nutzlosen Synapsen.

Liebe ist infinit.