Welt

 

Distanz zur Natur

Die Ergründung von Entwicklungen führt mich an den ersten Schritt des Weges. So ist es mir auch bei der Frage ergangen: „Welche Entwicklung führt zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen?“ Diese Frage lässt sich in mehrere Teilfragen untergliedern, indem wir etwa danach Ausschau halten, warum das nicht vorausgesehen wurde oder warum die Menschen wider besseres Wissen die Natur zerstören. Es lassen sich noch mehr Fragen finden, sie sind jedoch nur Abwandlungen der Frage nach dem ersten Schritt. Wir haben uns verlaufen. Wenn wir den Weg zurückgehen, finden wir den ersten Schritt.

Ich habe den ersten Schritt als die Trennung des Menschen von der Natur gefunden. Das ist eine wesentliche Bedingung. Solange der Mensch sich mit der Natur verbunden fühlt, kann er der Natur keinen Schaden zufügen, den er sich damit nicht selbst zufügt. Das wird bei den naturnahen Kulturen so empfunden.

In der westlichen Hemisphäre trennte sich der Mensch von der Natur, indem er die Natur als Objekt hinstellte, das er beobachtet, um daraus Erkenntnisse und in der Folge Naturgesetze abzuleiten. Das wird ‚empirische Methode‘ genannt und nahm seinen Anfang im England des 16. Jahrhunderts, Francis Bacon ist der Protagonist dieser Methode.

 

Der Empirismus als Irrweg

 

Francis Bacon als Höfling

Es fällt mir schwer, Bacon als einen Philosophen zu titulieren. Seine Ausbildung als Jurist hat ihn nicht mit den Fähigkeiten ausgestattet, kreative neue Möglichkeiten für die Menschen und die Gesellschaft zu finden. Was er erfand, war von seiner Passion als Inquisitor abgeleitet, der Menschen foltern ließ, um ihnen ihre Geheimnisse auszupressen. Er bevorzugte die zu seiner Zeit übliche Streckbank. Mit der Natur, auf die er seine wissenschaftliche Methode der empirischen Beobachtung anwenden wollte, hatte er kaum Berührung. Bacon wollte immer ein Günstling des Königs sein und setzte sich mit seinen Bemühungen über jede Moral und Ethik hinweg. Außerhalb des Königshofes wollte er unter keinen Umständen leben.

Francis Bacon war ein Höfling, der bei Königin Elisabeth I. in Ungnade fiel. Er lieferte seine ehemaligen Gönner praktisch ans Messer. Sein Patron Devereux, 2. Earl of Essex wurde nach seiner belastenden Untersuchung hingerichtet. Sein Weg war von Intrigen, Verrat und Folterungen gepflastert. Am Ende seines Wirkens bei Hofe wurde er wegen seiner Korruption und Intrigen doch vom Hofe Jakob I. verbannt.

Er wirkte einerseits als Jurist und Politiker und andererseits als Schriftsteller mit philosophischen Ambitionen. Diese philosophischen Ergüsse kann man eigentlich nicht ernst nehmen. In seinem Hauptwerk ‚novum organum scientiarum‘ folgt ein Gedanke oder Aphorismus dem anderen. Das kommt ziemlich unsortiert daher und mir ist es nicht gelungen, einen roten Faden in seinen geistigen Ergüssen zu finden. Wie das zu einer schlüssigen Naturphilosophie geworden ist, geht aus der Aneinanderreihung von Gedankensplittern nicht hervor. Bacon schreibt einfach irgendetwas, das ihm in den Sinn kommt. Das mag für ihn eine unterhaltsame Beschäftigung gewesen sein, für das gute und zufriedenstellende Leben der Gemeinschaften seiner Zeit hat das keine Bedeutung.

Um seinem König und allen Herrschern zu imponieren, hat seine ‚Naturphilosophie‘ vor allem den Anspruch, Regeln zu finden, nach denen man die Natur beherrschen kann. Das fand bei allen Herrschenden Zuspruch und so nahm man sich für die weitere Entwicklung der Naturwissenschaften einige Aphorismen heraus, die den Herrschaftsanspruch unterstützten. Eine wirkliche Weiterentwicklung der menschlichen Bildung für das Leben ist in Bacons Schriften nicht erkennbar.

 

Bacons Naturverständnis

Bacon lebte in einem Zeitalter des Übergangs von okkulten Erklärungen der Naturerscheinungen und menschlichen Beobachtung zu verstandesgetriebenen Modellen der Weltentwicklung. Der Aberglaube und religiöse Verblendungen begleiteten die Menschen dieser Kulturepoche durch Kriege, Hungersnöte, Hexenverfolgungen, theozentrische Weltbilder und Kreuzzüge, Leibeigentum und bittere Armut, Aufstände und willkürliche Machtausübung.

 

Ausbeutung als Grundprinzip

 

Die Natur wird von Bacon in Hinwendung zu einem anthropozentrischen Weltbild als dem Menschen untertan dargestellt mit dem Ziel, sie ebenso zu beherrschen wie die Leibeigenen, die Kolonien oder die unterlegenen Kriegsgegner. Die Natur soll kontrolliert und beherrscht werden. Dazu muss der Wissenschaftler sie kennen und analysieren. „Daher müssen wir die Natur vorläufig auflösen und zersplittern, nicht durch Kohlenfeuer, sondern durch das göttliche Feuer des Geistes…“[1] Mit diesem Hintergrund legt er die Basis für die experimentelle Forschung. Er wird mitunter als der geistige Vater der modernen Naturwissenschaften bezeichnet oder als Ideengeber für die nachfolgenden Erfahrungsphilosophen Hobbes, Locke, Berkeley und Hume. Mit seinen Leitgedanken werden wissenschaftliche Akademien und Universitäten im 17. Jahrhundert gegründet. So war er der spiritus rector der Royal Society, die 1660 gegründet wurde und die wissenschaftlichen Erkenntnisse nach seinem Vorbild durch Experimente und Schlussfolgerungen vermehrte.

Bacon hat in seinem Vorschlag zur Erneuerung der Wissenschaften vor allem jede nicht sinnliche Erfahrung ausgeklammert. Seine Reduktion der Welt auf sensualistische Erfahrungen schnitt die geheimen Kräfte, die magischen oder okkulten Hintergründe von den Betrachtungen ab. Die meisten anderen Philosophen der Renaissance haben die Seele, die Gefühle und die unsichtbaren, geheimen Kräfte in die Erklärung der Naturphänomene einbezogen. Bacon hat die nichtsinnlichen Erfahrungen ausgeschlossen und bezog sich wegen der anthropozentrischen Orientierung seines Weltbildes auf die sinnlichen Wahrnehmungen des Menschen - und nicht etwa der anderen Wesen. Das war eine extreme Verengung des Weltbildes auf die Materie und in der weiteren Entwicklung sogar nur auf die messbare Materie.

Die Mathematik galt Bacon als Basis jedweder Erkenntnis. Ohne die Mathematik hat der Wissenschaftler nach seiner Meinung keine Basis zur Bearbeitung jedes anderen Wissenschaftsgebietes, wie Physik, Chemie, Biologie und allen naturwissenschaftlichen Forschungen. Damit schließt Bacon das Leben aus der weiteren Erforschung der Welt aus. Heute stellen wir erstaunt fest, dass das Leben aus der Erkenntnis unserer Wissenschaften ausgeschlossen ist. Die Naturwissenschaften (Physik, Chemie,...) haben keinen Bezug zum Leben, sie sortieren lediglich tote Materie um. Dabei verwenden sie frei erfundene Ordnungskategorien und Strukturen (Raumdimensionen, Zeiteinteilungen, Gewichte, ...).

 

Physik sortiert tote Materie.

 

Die darauf basierende Technik zerstört die Natur rücksichtlos. So rücksichtslos, wie Bacon durch sein Leben ging. Er verriet seine Freunde und Gönner, schaute Folterungen auf der Streckbank zu, lieferte Menschen ans Messer, intrigierte und buckelte diensteifrig bei den jeweiligen Herrschern. Aus Geldsorgen heiratete er ein Kind. Kurzum: Er brachte Unglück über seine Mitmenschen. Die „Verdorbenheit seines Charakters“[2] wird von allen bestätigt, die sich eingehender mit ihm beschäftigt haben.

Bacon hat seine Philosophie nicht gelebt, er philosophierte ‚so nebenbei‘. Es sträubt sich in mir, ihn auf eine Stufe mit den griechischen Philosophen oder neuzeitlichen passionierten Philosophen wie Kant, Nietzsche oder Descartes zu stellen. In seinem Bild der Welt führen ausschließlich die Erfahrungen und die Spekulationen über die Ergebnisse von Experimenten zu den Erkenntnissen in der ‚Naturphilosophie‘. Seine Erfahrungen und seine durch Folter und Grausamkeiten erhaltenen Informationen mögen ihn geprägt haben. Aber es ist geradezu grauenhaft und abstoßend, diese Methoden zur Grundlage eines Weltbildes zu machen.

 

Francis Bacon der Überschätzte

Wenn Hegel findet, dass Bacon trotzdem „ein Mann von Geist, klarblickend“[3] sei, dann braucht man nur diesem Blick zu folgen und erkennt, dass Bacon lediglich die Formen der Natur betrachtet und jeglichen Zweck oder seelischen Hintergrund ausblendet. Er vermutet in der Natur die formalen Ursachen und die logischen Regeln, die bloßgelegt werden müssen. Selbst Hegel hat die begrenzten Fähigkeiten Bacons erkannt und kritisiert, denn er hatte „nicht die Fähigkeit, nach allgemeinen Gedanken, Begriffen zu räsonieren.“

Bacon war also eher ein schwadronierender Höfling, der aus seinen Erfahrungen als nebenberuflicher Inquisitor geplaudert hat. Ein Philosoph war er nicht. Seine Schriften ‘De augmentis scientiarum‘ und ‚Novum Organon‘ könnten einen Platz als Anekdoten aus dem Kopf eines neuzeitlichen Gernegroß erhalten. Für das echte Leben sind sie nicht zu gebrauchen.

Aus einer ganzheitlichen Sicht ist die Aufgliederung unbekannter Wissensgebiete in verschiedene Kategorien eine Taktik zur Verschleierung der Unkenntnis. Das hat Bacon uns hinterlassen. Und er hat uns die wirren Ideen hinterlassen, wonach es hinter den toten Formen der Natur eine Logik und formale Ursachen geben soll. Das konnte er nicht begründen und er hat auch keinen formalen Zusammenhang als Beispiel genannt. Nach seinem einzigen Versuch, den er als wissenschaftlich deklarierte, ist er gestorben. Er stopfte ein totes Huhn mit Eis aus, um seine Haltbarkeit zu verlängern. Dabei zog er sich eine Lungenentzündung zu, an der er starb.

Aus einer schamanischen Sicht ist der Mensch nicht zwiespältig. Er ist eins mit sich, mit der Natur und mit seiner Umgebung.

 

Bacons ‚Philosophie‘ entsteht aus Bacon.

 

Es ist zutiefst bedauerlich, dass Bacon zu einem Begründer der wissenschaftlichen Methodik ernannt wurde und die englischen Empiriker seinen verwirrten Gedankengängen folgten. John Locke, David Hume, George Berkeley, Adam Smith, u.a. sind als die Britischen Empiriker in die Geschichte der Philosophie eingegangen. Sie haben in der Nachfolge von Bacon die Theorien in die Welt gesetzt, die zur Zerstörung der Natur, zur Zerstörung von Kulturen und Lebensweisen führten. Mit dieser Bewegung ‚weg von der Natur‘ haben sie den Menschen zu einer Maschine mit Zweckorientierung gemacht und die Natur zu einem Lieferanten von Rohstoffen und Lebewesen für die Herrscher – ob es nun Könige oder Konzernchefs sind.

Die schamanische Praxis ist vitazentriert und steht im Dienste der Gemeinschaft. Sie ist in weiten Teilen gemeinnützig und altruistisch. Auf dieser Grundlage entstehen Gemeinschaften im Einklang mit der Natur und zum Wohle der Mitmenschen.

Damit steht sie der mechanistischen Sicht des Bacon und seiner Nachfolger diametral entgegen. Der erste Schritt zu der Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen wurde von einem egomanischen, gescheiterten Günstling gemacht. Aus seinem Empirismus entstand die Ausbeutung der Natur und der Menschen. Es ist beschämend zu sehen, wie aus diesen Irrungen eine Kultur erwachsen konnte, die sich heute als einen Fortschritt der Menschheit feiert.

 

Schamanisches Wirken befreit das Leben von der Streckbank.

 

[1] zitiert nach J. Gleick, a.a.O. S. 71
[2] Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 74 ff, hier S. 91. Online Test im Web bei zeno
[3] Ebd.